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Seit Mitte des 20. Jahrhunderts verändert sich das Erd- und Klimasystem dramatisch. Die weltweite Durchschnittstemperatur steigt und führt zur Zunahme von Extremwetterlagen und zum Rückgang der Artenvielfalt. Die Hauptursache dafür ist der durch den Menschen verursachte Anstieg der Konzentration von CO2 und anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre. In Deutschland hat das zu der Forderung geführt, mehr gegen die Erderwärmung zu tun. Damit ist die Vorstellung verbunden, dass sich durch eine starke Reduktion des deutschen (und europäischen) CO2-Ausstoßes der Klimawandel eindämmen lässt und seine „schlimmsten Folgen“ verhindert werden können. Das ist eine Illusion, denn die bisherigen Klimaabkommen von Kyoto und Paris konnten und können einen starken Anstieg der weltweiten CO2-Emissionen nicht verhindern. „Eine unbequeme Wahrheit“*: Der Klimawandel wird weitergehen. In Deutschland ist ein Umdenken erforderlich.

Die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre ist seit 1960 steil angestiegen und hat im Mai 2019 mit fast 415 ppmv einen neuen Spitzenwert erreicht.1 Dies hat in hohem Maße anthropogene Ursachen. Der Hauptgrund ist die Verbrennung fossiler Energieträger, wie die Abnahme der Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre, Untersuchungen zum Verhältnis der verschiedenen Kohlenstoffisotope und Statistiken zum Einsatz fossiler Energieträger belegen.2 Eine weitere Ursache ist das Roden von Waldflächen. Da CO2 die langwelligen Wärmestrahlungen von der Erdoberfläche absorbiert und teilweise wieder zur Erde zurücksendet, steigt durch eine höhere CO2-Konzentration die Oberflächentemperatur der Erde.3 Es kommt zum Treibhauseffekt. Dieser hat sich – parallel zum Anstieg der CO2-Konzentration – stark erhöht, sodass die Durchschnittstemperatur auf der Erde zunehmend über der der Klimareferenzperiode (1961 bis 1990) liegt. Als Folge hat sich das Klima grundlegend gewandelt.

Risiken bei weiter steigender Erderwärmung

Bei weiter steigender Erdtemperatur besteht die Gefahr, dass in Teilen des Erd- und Klimasystems Prozesse auftreten, die sich selbst verstärkende Effekte auslösen, sobald bestimmte kritische Schwellenwerte (Kipppunkte oder „tipping points“) überschritten sind. Als Folge würde es zu „abrupten, drastischen Klimaänderungen“ kommen, die „die Anpassungsmöglichkeiten der menschlichen Gesellschaft übersteigen“. „Dies gilt besonders für solche (Prozesse), in denen die bewirkten Änderungen nicht mehr umkehrbar sind.“4 Als Beispiele für solche Prozesse nennen Lenton et al.5 das Schmelzen des Grönländischen Eisschildes und den daraus resultierenden Anstieg des Meeresspiegels, das Schmelzen der Eismassen in der Arktis, das zu abnehmendem Rückstrahlungsvermögen der Erdoberfläche (Albedo) und damit zum weiterem Abschmelzen des Meereises führt, die Austrocknung und den Kollaps des Amazonas-Regenwaldes sowie die Zunahme und mögliche Persistenz des El-Niño-Phänomens.

Allerdings ist die Unsicherheit, ob solche Kipppunkte eintreten, relativ hoch, weil die ihnen zugrunde liegenden Prozesse noch nicht ausreichend erforscht sind. Deshalb haben Lenton et al. eine Expertenbefragung durchgeführt, um schätzen zu können, wie sensitiv die Prozesse auf die globale Erwärmung reagieren und wie gut die zugrundeliegenden physikalischen Mechanismen bekannt sind. Ihr Ergebnis war, dass der hier aufgeführte 1. und 2. Prozess sehr empfindlich auf die Erderwärmung reagiert und dass die Unsicherheit hinsichtlich des physikalischen Mechanismus nur gering ist. Dagegen reagieren der 3. und 4. Prozess weniger sensitiv auf die globale Erwärmung, und hinsichtlich der physikalischen Mechanismen besteht noch eine große Unsicherheit.6 Das Konzept von solchen Kipppunkte verdeutlicht, dass der Anstieg der CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu einem allmählichen und gleichmäßigen Klimawandel führen wird, sondern das Risiko plötzlicher, nicht mehr rückgängig zu machender Prozesse mit sich bringt.

Klimaabkommen aus historischer Sicht

Bereits 1972 fand in Stockholm die erste UN-Umweltkonferenz statt, auf der das Prinzip „Only One Earth“ angenommen und ein sehr kompromissorientiertes und damit wenig wirksames Umweltprogramm beschlossen wurde.7 Auf der nächsten weltweiten Umweltkonferenz 1992 in Rio de Janeiro wurde unter anderem die UN-Klimarahmenkonvention8 beschlossen. Sie verankerte völkerrechtlich verbindlich das Ziel, „die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau“ zu stabilisieren, „auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird“. Gleichzeitig wies sie auf die „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten“ von entwickelten und nicht-entwickelten Ländern für den Schutz des Klimasystems hin.9 Denn die anthropogenen CO2-Emissionen, die sich bis dahin in der Erdatmosphäre kumuliert hatten, waren nahezu ausschließlich von den entwickelten Ländern verursacht worden.10 „Folglich sollen [... diese Länder] bei der Bekämpfung der Klimaänderungen und ihrer nachteiligen Auswirkungen die Führung übernehmen“11. Daraus wurde später abgeleitet, dass nur die Industrieländer und nicht auch die Schwellenländer ihren CO2-Ausstoß verbindlich begrenzen sollten.

Beim Berliner Klimagipfel 1995 vereinbarten die Industrie­länder erstmals verbindliche Reduktionsziele, die 1997 zum Kyoto-Protokoll führten. Daran beteiligten sich zunächst alle Industriestaaten und gingen völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen für den Treibhausgasausstoß12 ein: Die Emissionen sollten 2008 bis 2012 im Vergleich zu 1990 um durchschnittlich 5,1 % zurückgehen.13 Dabei waren die Emissionsziele einheitlich definiert und wiesen mit -8 % bis -6 % für fast alle Industrieländer die gleiche Größenordnung auf (vgl. Tabelle 1, Spalte 4). Damit die Industrieländer ihre zugesagten Emissionsziele erreichen konnten, erlaubten ihnen die Kyoto-Mechanismen, einen Teil ihrer Reduktionsverpflichtungen im Ausland zu erbringen. Dazu zählte vor allem der internationale Emissionshandel, bei dem jedes Land so viele Emissionsrechte zugeteilt bekam, wie bei Einhaltung seines Reduktionsziels erforderlich waren. Konnte ein Land mit nationalen Maßnahmen seinen Treibhausgasausstoß nicht ausreichend verringern, so konnte es fehlende Emissionsrechte von Ländern kaufen, die ihre Emissionen stärker als im Kyoto-Protokoll vereinbart gesenkt hatten. Nach ihren Zusagen in Kyoto hatten alle 38 „Anhang-B-Länder“, d. h. die Industrieländer und ehemaligen Ostblockstaaten, deren Emissionsverpflichtungen in Anhang B des Kyoto-Protokolls aufgezählt waren, das Abkommen auch unterschrieben. Allerdings konnte das Kyoto-Protokoll erst in Kraft treten, nachdem es von 55 Ländern mit mindestens 55 % des CO2-Ausstoßes ratifiziert worden war.14 Im Zuge dieses Ratifikationsprozesses, der sich bis Ende 2004 hinzog, kam es zu einer Erosion des Kyoto-Abkommens, die sich auf folgende Prozesse zurückführen lässt:

  • die Aushandlung, wie Kohlenstoffsenken durch Aufforstung und zusätzliche Emissionen durch Abholzen auf die Emissionsziele angerechnet werden;
  • den Ausstieg der USA aus dem Kyoto-Protokoll und seine langwierige Ratifizierung durch Russland und
  • die schwindende Bereitschaft eines großen Teils der Teilnehmerländer, sich an ehrgeizigen Klimazielen zu beteiligen.

Maßnahmen, wie eine veränderte Landnutzung oder das Aufforsten von Wäldern werden im Kyoto-Abkommen auf die Emissionsziele der Teilnehmerländer angerechnet.15 Dabei wurde lange über die konkrete Ausgestaltung der Anrechnungsregeln verhandelt mit dem Ergebnis: „LULUCF accounting was beneficial for most countries, totalling net emissions reductions of 420 Mt CO2 eq“16. Davon entfiel der größte Teil auf Russland und Australien (jeweils ein Drittel) sowie auf Japan. Die Anrechnungsregeln führten zu einer Aufweichung des durchschnittlichen Emissionsziels der Kyoto-Teilnehmerstaaten: Es sank von 5,1 % auf 3,2 %.17

2001 hatten die USA beschlossen, das Kyoto-Protokoll nicht zu ratifizieren, insbesondere weil China sich an den Treibhausgaseinsparungen nicht beteiligte und so einen nicht gerechtfertigten Vorteil im internationalen Wettbewerb erhielte.18 Da auf die USA rund 35 % des Treibhausgasausstoßes der „Anhang-B-Staaten“ entfielen, konnte die 55 %-Klausel für das Inkrafttreten des gesamten Kyoto-Abkommens nur erfüllt werden, wenn Russland zusammen mit weiteren Ostblockstaaten das Protokoll ratifizierte.19 Dafür bot der im Kyoto-Protokoll vereinbarte internationale Emissionshandel einen starken Anreiz. Die Ostblockstaaten hatten im Zuge der Transformation ihrer Volkswirtschaften nach 1990 viele energie­ineffiziente Kraftwerke und Industrieanlagen stillgelegt und so ihren Treib­hausgasausstoß stark reduziert. Er sank von 1990 bis 1995 in Russland um fast 27 % und in der Ukraine um 41 %. Dennoch hatten sich beide Länder im Kyoto-Protokoll nur verpflichtet, ihren Ausstoß von 2008 bis 2012 im Vergleich zu 1990 nicht zu erhöhen. Damit war absehbar, dass sie die ihnen zugeteilten Emissionsrechte zum größten Teil nicht benötigen würden und an andere Kyoto-Staaten (gegen „harte Devisen“) verkaufen konnten.20 Da die Emissionsrechte der Transformationsländer auf Treibhausgaseinsparungen lange vor Kyoto zurückzuführen waren, stand hinter ihnen keine echte Minderung klimaschädlicher Gase, sondern nur sogenannte „heiße Luft“. Diese betrug in der gesamten Erfüllungsperiode des Kyoto-Protokolls etwa 11 000 Mt CO2 eq,21 und ließ das durchschnittliche Emissionsziel der Kyoto-Teilnehmerstaaten weiter sinken.

Schon bald ließ sich bei einem großen Teil der Teilnehmerländer eine nachlassende Bereitschaft beobachten, sich an ehrgeizigen Klimazielen zu beteiligen. Dies lässt sich zum einen am Beschluss der EU15 zur sehr ungleichen Lastenverteilung des Emissionsziels von -8 % unter den 15 Staaten ablesen: Während Dänemark und Deutschland (jeweils -21 %) sowie Österreich und Großbritannien (jeweils -13 %) besonders hohe Reduktionsverpflichtungen übernahmen, wurden Irland und den Ländern im Süden Steigerungen ihrer Emissionen zwischen 13 % und 27 % zugestanden (vgl. Tabelle 1, Spalte 5).

Tabelle 1
Ziele und CO2- bzw. Treibhausgasemissionen der Teilnehmerstaaten am Kyoto-Protokoll
in %
  Anteil am
globalen CO2-Ausstoß
Änderung des CO2-Ausstoßes Emissionsziele im Kyoto-Protokoll Tatsächlich
erreichte Treibhausgas-minderung mit
LULUCF-
Anrechnung5
Ursprüngliche Werte Werte nach Lasten-
verteilung in der EU15
Änderung durch LULUCF- Senkung (-)4
Länder1 19902 zwischen 1990 und 19953 zwischen 1990 und 2008 bis 2012
Österreich 0,3 +3,7 -8 -13 -1,7 +3,2
Belgien 0,5 +5,6 -8 -8 +0,1 -13,9
Dänemark 0,2 +14,9 -8 -21 -2,5 -17,3
Finnland 0,3 +4,0 -8 0 -0,8 -5,5
Frankreich 1,8 -1,2 -8 0 -0,6 -10,5
Deutschland 4,6 -9,8 -8 -21 -0,6 -24,3
Griechenland 0,4 +7,7 -8 +25 -0,4 +11,5
Irland 0,2 +7,4 -8 +13 -5,9 +5,1
Italien 2,0 +2,0 -8 -6 -2,9 -7,0
Niederlande 0,7 +9,9 -8 -6 +0,2 -6,2
Portugal 0,2 +22,0 -8 +27 -16,9 +5,5
Spanien 1,0 +10,9 -8 +15 -3,6 +20,0
Schweden 0,3 +8,4 -8 +4 -2,9 -18,2
Großbritannien 2,7 -6,0 -8 -13 -0,4 -23,0
EU15 15,1 -1,5 -8 -8 -1,4 -13,1 (-11,7)
Australien 1,2 +9,8 +8 8 -27,1 +3,2
Kanada (2011 ausgetreten) 2,1 +7,4 -6 -6 0,0 +18,5
Japan 5,2 +6,2 -6 -6 -3,9 -2,5
Norwegen 0,2 +14,4 +1 +1 -3,0 +4,6
Schweiz 0,2 -0,5 -8 -8 -3,1 -3,9
USA (nicht ratifiziert) 23,1 +5,8 -7 -7 0,0 +9,5
Transformationsländer in Europa (11)6 4,9 -19,3 -6 bis -8 -6 bis -8
Russland 10,8 -26,6 0 0 -3,6 -36,3
Ukraine 3,6 -41,1 0 0 -0,5 -57,1
Transformationsländer (13)6 19,2 -27,4 -1,9 -1,9 -2,5 -40,5
Kyoto-Staaten von 2012            
ohne USA und Kanada (36) 41,3 -12,1 -4,0 -4,0 -2,9 -24,2 (-21,3
ohne Transformationsländer6 (23) 22,1 +1,2 -6,0 -6,0 -3,6 -9,2 (-5,6)
ohne Transformationsländer6, aber mit USA und Kanada (25) 47,2 +3,7 -6,5 -6,5 -1,8 +1,0 (+2,8)

1 Länder mit einem CO2-Anteil von unter 0,2 % 1990 sind nicht aufgeführt, werden aber in den Summen für die Ländergruppen berücksichtigt. 2 Das Basisjahr für die Emissionsziele ist in der Regel 1990; nur bei einigen Transformationsländern gibt es abweichende Basisjahre. 3 Beim Abschluss des Kyoto-Protokolls 1997 lagen die Daten für 1995 vor. 4 LULUCF steht für die Anrechnung der Senkung (-) bzw. Erhöhung (+) des Treibhausgasausstoßes durch „land use, land-use change, and forestry“ auf die Emissionsziele. 5 Bei den blau unterlegten Zahlen wurden die Emissionsziele mit LULUCF-Anrechnung nicht erreicht. Die Werte in Klammern geben die erreichten Treibhausgasminderungen ohne LULUCF-Anrechnung an. 6 Als Transformationsländer werden ehemalige Ostblockstaaten bezeichnet, die sich in einem Transformationsprozess befinden.

Quellen: eigene Berechnungen anhand der EDGAR-Datenbank von M. Muntean et al.: Fossil CO2 emissions of all world countries – 2018 Report, EUR 29433 EN, Publications Office of the European Union, Luxemburg 2018; Protokoll von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen, 1997, https://unfccc.int/resource/docs/convkp/kpger.pdf (12.11.2019); I. Shishlov, R. Morel, V. Bellassen: Compliance of the parties to the Kyoto Protocol in the first commitment period, in: Climate Policy, 16. Jg. (2016), H. 6, S. 774, http://dx.doi.org/10.1080/14693062.2016.1164658 (12.11.2019).

Dieses deutliche Nord-Süd-Gefälle lässt sich nur zum Teil auf die unterschiedliche wirtschaftliche Situation der Länder zurückführen; zusätzlich dürfte ihre divergierende Bereitschaft zum Klimaschutz eine Rolle gespielt haben.22 Zum anderen beteiligte sich Nordamerika nicht am Kyoto-Protokoll. Nach der Nichtratifizierung durch die USA trat Kanada 2011 aus dem Abkommen aus. Schließlich sprangen bei der Vereinbarung von Kyoto 2 mit einer weiteren Verpflichtungsperiode (2012 bis 2020) auch noch Russland, Japan und Neuseeland ab. Damit waren die Europäer beim Klimaschutz fast unter sich und auf die verbleibenden Kyoto-Staaten entfielen nur noch etwa 15 % des globalen CO2-Ausstoßes.23

Die Kyoto-Staaten von 2012 konnten ihr gemeinsames Ziel, die Treibhausgasemissionen um 4 % zu reduzieren, mit -24,2 % nicht nur erfüllen, sondern deutlich übererfüllen. Die Hauptgründe waren die Finanzkrise 2008, die in der ersten Erfüllungsperiode (2008 bis 2012) eine weltweite Rezession auslöste, die Nicht(mehr)teilnahme der USA und Kanadas sowie umweltpolitische Maßnahmen. Insgesamt war die wesentliche Schwäche des Kyoto-Protokolls die Nichtteilnahme der drei größten Emittenten klimaschädlicher Gase – China, USA und Indien – sowie das Ausscheiden des viert- und fünftgrößten Emittenten – Russland und Japan – in der zweiten Verpflichtungsperiode. Auf diese fünf Länder entfielen 2017 60% des weltweiten CO2-Ausstoßes. Entsprechend ernüchtert fiel eine Bilanz zehn Jahre nach Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls aus: „Es sollte die Initialzündung für einen globalen Klimaschutz werden. Doch tatsächlich ist die Staatengemeinschaft in all den Jahren keinen Schritt weitergekommen.“24

Das große Verdienst des Pariser Klimaabkommens von 2016 ist, dass es erstmals ein klares quantitatives Ziel für den Klimaschutz gesetzt hat: Der Anstieg der Erderwärmung soll bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf deutlich unter 2°C – möglichst auf 1,5°C – gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden.25 Des Weiteren ist es gelungen, neben den Industrieländern auch die meisten großen Schwellenländer einzubeziehen. Der Preis dafür war allerdings hoch. Es wurde ein Bottom-up-Ansatz gewählt, bei dem jedes teilnehmende Land sein Klimaziel eigenständig festgelegt hat.26 Dazu brauchte es nur seinen nationalen Klimabeitrag (Nationally Determined Contribution – NDC) beim Sekretariat der UN-Klimarahmenkonvention einzureichen. Der Nachteil dieser Vorgehensweise ist, dass es keine einheitlichen und von allen Teilnehmerstaaten als fair empfundenen Ziele mehr gibt. Jedes Land konnte eine beliebige Bezugsgröße sowie sein eigenes Basisjahr und seinen eigenen Erfüllungszeitraum wählen. Das Ergebnis war ein „Sammelsurium ... nationaler Selbstverpflichtungen“27, das nahezu keine Aussage über die angestrebte Höhe des gesamten Treibhausgas- oder CO2-Ausstoßes aller Teilnehmerstaaten in einem bestimmten Jahr zulässt.28 Besonders problematisch ist jedoch, dass für die Einhaltung der nationalen Klimabeiträge keine völkerrechtlich verbindliche Verpflichtung besteht. Es findet nur alle fünf Jahre „eine weltweite Bestandsaufnahme“ statt, um die „gemeinsamen Fortschritte bei der Verwirklichung des Zwecks dieses Übereinkommens und seiner langfristigen Ziele zu bewerten“29.

Die weltweiten CO2-Emissionen sind von 1990 bis 2017 um fast 64 % auf 37,1 Gt gestiegen (vgl. Tabelle 2). Davon entfielen rund zwei Drittel auf die zehn größten Emittenten – angeführt von China und den USA – und davon wiederum 21 % auf vier Industrieländer, 42½ % auf vier Schwellenländer und 3½ % auf zwei OPEC-Staaten. Damit hat der CO2-Ausstoß der zehn Größten seit 1990 um 11,2 Gt oder fast 82 % zugenommen.

Tabelle 2
Entwicklung des weltweiten CO2-Ausstoßes1 in den zehn größten Emissionsländern von 1990 bis 2017
  CO2-Ausstoß Anteil an welt-
weitem CO2-Ausstoß
Anstieg des
CO2­
Ausstoßes
CO2-Ausstoß
je Einheit BIP
CO2-Ausstoß pro Kopf Bevöl-kerung Bevölkerungs-wachstum
  2017 2017 seit
1990
seit 2005 2017 2017 2017 seit 1990 seit 1960
  in Mt in % in Mt in % in Mt in t/BIP in 1000 US-$ in t/Kopf in Mio. in Mio. in % in %
10 größte CO2 -Emittenten 24 922 67,2 11 188 81,5 5 725 - 6 868 3 629 839 30,1 118
Industrieländer 7 842 21,2 133 1,7 -825 - 13 740 571 87 18,0 57
USA (2.) 5 107 13,8 21 0,4 -864 0,289 15 741 325 72 28,5 80
Japan (5.) 1 321 3,6 171 14,9 44 0,267 10 360 128 3 2,4 37
Deutschland (6.) 797 2,1 -222 -21,8 -41 0,213 9 700 82 3 3,8 14
Kanada (10.) 617 1,7 161 35,4 36 0,382 16 855 37 9 32,2 105
Schwellenländer 15 770 42,5 10 118 179,0 6 047 - 5 357 2 944 711 31,8 132
China (1.) 10 877 29,3 8 480 353,8 4 614 0,512 7 717 1 410 237 20,2 108
Indien (3.) 2 455 6,6 1 849 305,1 1 244 0,285 1 833 1 339 469 53,9 198
Russland (4.) 1 765 4,8 -614 -25,8 31 0,485 12 257 144 -4 -2,4 21
Südkorea (7.) 673 1,8 403 149,3 158 0,364 13 207 51 8 18,9 106
OPEC-Staaten 1 310 3,5 937 251,3 503 - 11 483 114 42 57,4 339
Iran (8.) 671 1,8 465 224,7 204 0,434 8 273 81 25 44,5 271
Saudi-Arabien (9.) 639 1,7 473 284,4 299 0,395 19 393 33 17 101,8 706
Nachrichtlich:                      
Welt 37 077 100,0 14 403 63,5 7 028 0,319 4 915 7 544 2 216 41,6 148
EU28 3 548 9,6 -861 -19,5 -702 0,186 6 972 509 32 6,6 -
EU28 ohne Deutschland2 2 752 7,4 -639 -18,9 -661 - 6 447 427 29 7,2 -

1 Nur für den CO2-Ausstoß und nicht für das CO2-Äquivalent der Treibhausgas-Emissionen (CO2 eq) liegen weltweit Länderdaten vor. 2 Der Rückgang des CO2-Ausstoßes der EU28 (ohne Deutschland) hat dazu geführt, dass der weltweite der CO2-Ausstoß prozentual weniger gestiegen ist als der der zehn größten Emittenten.

Quellen: EDGAR-Datenbank von M. Muntean et al.: Fossil CO2 emissions of all world countries – 2018 Report, EUR 29433 EN, Publications Office of the European Union, Luxemburg 2018; World Bank: Open Data, https://data.worldbank.org/ (7.8.2019), nur für die Bevölkerungszahlen von 1960.

In den vier Industrieländern haben die CO2-Emissionen seit 1990 nur noch um 1,7 % zugenommen und sind seit 2005 sogar um rund 10 % zurückgegangen. Vor allem aber kann mit weiter sinkenden CO2-Emissionen gerechnet werden, wenn die verschiedenen Industrieländer die von ihnen zugesagten NDC30 erbringen.

Die USA haben zwischen 1990 und 2017 ihren CO2-Ausstoß nur noch um ½ % erhöht (vgl. Tabelle 2). Ihr CO2-Ausstoß hatte seinen Höhepunkt 2005 erreicht und war erst anschließend deutlich gesunken. Im Pariser Abkommen haben sich die USA verpflichtet, ihren CO2-Ausstoß von 2005 bis 2025 um 26 % bis 28 % zu senken. Im Vergleich zu 1990 bedeutet das bis 2030 einen Rückgang zwischen 19½ % und 22 %. Allerdings ist mit wieder steigenden CO2-Emissionen der USA zu rechnen, nachdem sie 2017 ihren Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen eingereicht haben.

Japans CO2-Ausstoß war von 1990 bis 2005 um 11 % gestiegen und hat bis 2017 um weitere 4 Prozentpunkte zugenommen. Dies ist vor allem auf die Nuklearkatastrophe in Fukushima 2011 zurückzuführen, die Japan zwang, seine Energiestrategie grundlegend zu verändern. Vor diesem Hintergrund gab Japan als Klimabeitrag an, seine CO2-Emissionen zwischen 2005 und 2030 um 24½ % (oder knapp 330 Mt) zu reduzieren. Das entspricht einem Rückgang von 17 % gegenüber 1990, der allerdings kaum noch erreicht werden kann.

Kanada hatte seine CO2-Emissionen von 1990 bis 2017 um 35 % und damit von den vier Industrieländer am stärksten erhöht. Im Rahmen des Pariser Abkommens hat sich das Land auf einen Klimaschutzbeitrag von -30 % zwischen 2005 und 2030 festgelegt, was gegenüber 1990 zu einem Rückgang von 11 % führen würde. Allerdings ist der CO2-Ausstoß Kanadas nach 2005 weiter angestiegen, sodass die Einhaltung seines NDC in weite Ferne gerückt ist.

Als einziges der vier Industrieländer hatte Deutschland seinen CO2-Ausstoß bereits von 1990 bis 2005 um knapp 18 % gesenkt. Dabei ist der Rückgang seiner Emissionen allerdings um 8 bis 9 Prozentpunkte niedriger anzusetzen, wenn man Wiedervereinigungseffekte herausrechnet: Von 1990 bis 1995 war der ostdeutsche CO2-Ausstoß transformationsbedingt stark zurückgegangen,31 während der westdeutsche aufgrund des Wiedervereinigungs-Booms gestiegen war. Von 2005 bis 2017 nahmen die deutschen CO2-Emissionen nur noch um 5 % ab. Dabei spielte eine Rolle, dass in vielen Bereichen bereits relativ hohe Energiestandards galten. Hinzu kam der Ausstieg aus der Kernenergie. Dadurch hat der zunehmend aus erneuerbaren Energien verfügbare Strom nicht die Verstromung von Kohle und Gas vermindert, sondern nur den Strom aus Kernkraft ersetzt.32 Insgesamt ist der deutsche Treibhausgasausstoß zwischen 1990 und 2017 um knapp 22 % zurückgegangen (bzw. um 11 % bis 12 % ohne den Wiedervereinigungseffekt).

Als Mitglied der EU28 hat sich Deutschland im Pariser Abkommen zum weitestgehenden Klimaschutzbeitrag verpflichtet, einer Reduktion seines Treibhausgasausstoßes um 40 % bis 2030 im Vergleich zu 1990. Zur Erreichung dieses Ziel haben sich die EU28-Staaten auf EU-interne Regelungen geeinigt, die die Lasten unterschiedlich auf die Mitgliedstaaten verteilen. Daraus resultiert, dass Deutschland seinen Treib­hausgasausstoß bis 2030 gegenüber 1990 um 51 % senken muss.33 Dieses Ziel lässt sich nur mit großen Anstrengungen erfüllen, denn vor den klimapolitischen Maßnahmen im September 2019 wurde geschätzt, dass der deutsche Treibhausgasausstoß bis 2030 um 42 % sinken wird.

Insgesamt haben sich die Industrieländer im Pariser Klimaabkommen nur zu geringen Reduktionen ihrer CO2-Emissionen bis 2030 verpflichtet, wobei unsicher ist, ob diese Ziele überhaupt eingehalten werden. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass die Industrieländer den starken Anstieg des CO2-Ausstoßes der vier Schwellenländer und der beiden OPEC-Staaten zwischen 1990 und 2017 nicht vollständig kompensieren können. Dazu hätte es auch nicht gereicht, wenn die vier emissionsstärksten Industrieländer und die EU28 bereits 2017 Klimaneutralität erreicht hätten. Vor allem aber hätte dann keinerlei Spielraum mehr bestanden, um den weiteren Anstieg bei den anderen großen Emittenten zu kompensieren.

Zentrale Rolle der Schwellenländer und OPEC-Staaten

Die Schwellenländer – allen voran China und Indien – haben ihren CO2-Ausstoß 2017 im Vergleich zu 1990 auf das 2,8-Fache erhöht und damit 10,2 Gt mehr CO2 emittiert (vgl. Tabelle 2). Allerdings leben heute in den vier Schwellenländern, dem Iran und Saudi-Arabien etwa 3060 Mio. Menschen im Vergleich zu nur 570 Mio. in den vier Industriestaaten. Entsprechend haben die Industrieländer mit 13 700 t CO2-Ausstoß pro Kopf einen 2½ mal so hohen Ausstoß wie die Schwellenländer und einen 1¼ mal so hohen wie die OPEC-Staaten. Dabei bestehen allerdings enorme Unterschiede innerhalb der Ländergruppen: z. B. emittierte Deutschland 9700 t pro Kopf im Vergleich zu 7700 in China, 15 700 in den USA und 19 400 in Saudi-Arabien (vgl. Tabelle 2).

Chinas CO2-Ausstoß ist seit 1990 auf das 4½-Fache gestiegen und machte 2017 fast 30 % der globalen CO2-Emissionen aus. Dahinter steht ein beispielloses Wirtschaftswachstum: 1990 betrug das chinesische BIP erst ein Drittel des deutschen, 2004 hatte China gleichgezogen, und 2017 war sein BIP 2,6 mal so hoch wie das deutsche.34 Im gleichen Zeitraum nahm die chinesische Bevölkerung um rund 240 Mio. zu und erreichte mit 1410 Mio. rund ein Fünftel der Weltbevölkerung. Vor diesem Hintergrund hat sich China im Pariser Abkommen verpflichtet, von 2005 bis 2020 seinen CO2-Ausstoß pro Einheit seines BIP, d. h. seine CO2-Intensität, um 40 % bis 45 % zu senken. Dem steht allerdings ein deutlich höherer Anstieg des chinesischen BIP gegenüber, sodass sein CO2-Ausstoß auch in Zukunft noch stark steigen dürfte. Schreibt man den angestrebten Rückgang der CO2-Intensität fort und unterstellt ein Wirtschaftswachstum von 5 % bzw. 6 % pro Jahr, so steigt der CO2-Ausstoß Chinas von 2017 bis 2030 um etwa 1700 Mt bis 4100 Mt.

Indien hat – von niedrigem Niveau aus – seinen CO2-Ausstoß 2017 im Vergleich zu 1990 um 1,85 Gt erhöht und damit vervierfacht. Auch Indien hatte ein hohes Wirtschaftswachstum, das aber deutlich hinter dem chinesischen zurückblieb. Dagegen wuchs seine Bevölkerung erheblich stärker als die chinesische. Sie hat sich seit 1960 verdreifacht und erreichte 2017 1340 Mio. Menschen. In seinem NDC für das Pariser Abkommen weist Indien selbst auf seine riesige Bevölkerung und auf die schlechte Lage vieler Inder hin: 30 % der Bevölkerung leben in Armut, 25 % haben keinen Zugang zu elektrischem Strom und 8 % keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.35 Die dringend erforderliche Entwicklung des Landes soll möglichst umweltverträglich erfolgen. Entsprechend verpflichtet sich Indien in seinem Klimaschutzbeitrag, seine CO2-Intensität bis 2030 im Vergleich zu 2005 um 33 % bis 35 % zu senken. Unterstellt man, dass dieser Rückgang der CO2-Intensität zwischen 1990 und 2030 gleichmäßig erfolgt und dass Indiens Wirtschaft weiterhin jährlich um 7 % wächst, so bedeutet das einen weiteren Anstieg des indischen CO2-Ausstoßes um 2270 Mt bis 2350 Mt von 2017 bis 2030.

Von Russland ist kein wesentlicher Beitrag zum Anstieg (oder Rückgang) der globalen CO2-Emissionen zu erwarten, während Südkorea sich in seinem NDC zu einem Rückgang seiner Emissionen um rund 20 % zwischen 2017 und 2030 verpflichtet hat. Dagegen ist bei den beiden größten Emittenten unter den OPEC-Staaten, Saudi-Arabien und Iran, mit einem weiteren starken Anstieg ihres CO2-Ausstoßes zu rechnen, vor allem weil ihre Bevölkerung stark gewachsen ist und noch wächst.

Insgesamt ist auch bei Einhaltung des Pariser Klimaabkommens allein in den beiden größten Schwellenländern von 2017 bis 2030 mit einer Zunahme des CO2-Ausstoßes um 4000 Mt bis 6300 Mt zu rechnen, zu denen noch der schwer zu quantifizierende Anstieg bei den beiden OPEC-Staaten kommt. Dem stünden Einsparungen von etwa 3300 Mt bis 3500 Mt CO2 gegenüber, wenn die USA, Japan und ganz Europa ihre Klimaziele für 2030 vollständig einhalten würden. Damit rückt Klimaneutralität, wie sie die meisten Umweltwissenschaftler spätestens in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts für erforderlich halten, um die Erderwärmung auf 1,5°C bis höchstens 2°C zu begrenzen, in weite Ferne.36 Nach Schätzungen des Climate Action Trackers (CAT) wird selbst bei Einhaltung aller Zusagen aus dem Pariser Klimaabkommen die globale Temperatur bis zum Ende dieses Jahrhunderts um 2,7°C bis 3°C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter steigen,37 d. h. der Klimawandel wird weitergehen.

Klimaschutz als weltweite Aufgabe

Daran wird auch die Einhaltung besonders ambitionierter Klimaziele in Deutschland nichts ändern. Denn selbst wenn schon heute das Ziel für 2030, den Treibhausgasausstoß um 55 % gegenüber 1990 zu reduzieren, erreicht wäre, würde der weltweite CO2-Ausstoß von 37 100 Mt nur um knapp 440 Mt sinken. Ein extrem hoher Klima­beitrag Deutschlands wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Für eine wirksame Eindämmung der Erderwärmung … ist ein global koordiniertes, gemeinsames Vorgehen unverzichtbar [... Denn] der Klimawandel (wird) von allen Staaten und Individuen weltweit gemeinsam beeinflusst“38.

Deshalb muss Deutschland

  • seine Vorreiterrolle im Klimaschutz infrage stellen;
  • seine begrenzten volkswirtschaftlichen Ressourcen effizient für den Klimaschutz einsetzen und auf nationale Alleingänge verzichten;
  • Länder mit niedrigen Vermeidungskosten bei CO2-Einsparungen gemeinsam mit anderen Staaten unterstützen und
  • das weltweit zu hohe Bevölkerungswachstum – und seine Gefahren für die Erderwärmung – berücksichtigen.

Klimaschutz ist ein öffentliches Gut, bei dem die Länder, die nicht zu seiner Erreichung beitragen, nicht ausgeschlossen werden können. Entsprechend besteht die Gefahr von Trittbrettfahrertum, bei dem einige Länder selbst möglichst wenige Lasten für die Reduktion ihres Treib­hausgasausstoßes übernehmen, weil sie darauf setzen, dass andere ihre Emissionen stark reduzieren und dafür hohe Kosten in Kauf nehmen. Deshalb unterbleibt eine Beschränkung der globalen Treibhausgasemissionen, obwohl sie aus weltweiter Perspektive günstiger wäre als ein dauerhafter Klimawandel.39 Das „Öffentliche-Gut-Problem“ lässt sich nicht durch Alleingänge lösen, d. h. dadurch, dass ein Land (Deutschland) oder eine Gruppe von Ländern (Europa) dauerhaft eine Vorreiterrolle übernimmt. Denn das bewirkt keine starken kollektiven Anstrengungen der anderen Länder.40 Dafür sprechen auch die Erfahrungen mit der Umsetzung des Kyoto-Protokolls und des Pariser Klimaabkommens.

Stattdessen sollte Deutschland (zusammen mit den anderen Staaten der EU28) auf internationale Abkommen hinarbeiten, bei denen die vereinbarten Anstrengungen der anderen Industrieländer den eigenen entsprechen und auch die Schwellenländer ihren Beitrag leisten. Noch wichtiger ist, dass die vereinbarten Klimaschutzbeiträge auch Zug um Zug nach dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung (Reziprozität) erbracht werden und es so zu einer stärkeren internationalen Kooperation kommt. Ohne Abkehr von der bisherigen Vorreiterrolle und ohne stärkere internationale Zusammenarbeit besteht sogar die Gefahr, dass trotz relativ hoher Treibhausgaseinsparungen der EU weltweit mehr klimaschädliche Gase emittiert werden.

Effizienter Einsatz von knappen Ressourcen

Die begrenzten volkswirtschaftlichen Ressourcen sollten effizient für den Klimaschutz eingesetzt werden, d. h. dort, wo die Kosten, um die Emission einer Tonne Treibhausgas zu vermeiden, niedrig sind. Denn durch eine Verlagerung der Einsparanstrengungen von Bereichen mit hohen Vermeidungskosten in Bereiche mit niedrigen Vermeidungskosten lassen sich die Gesamtkosten für ein bestimmtes Reduktionsziel senken, oder es lassen sich mit gleichen Ressourcen mehr klimaschädliche Gase vermeiden.41 Ein umweltpolitisches Instrument zur Erreichung niedriger Vermeidungskosten ist der Handel mit Emissionszertifikaten.42

Tabelle 3
Europäische und deutsche Ziele zum Klimaschutz
Änderung des Treibhausgasausstoßes in %
  (Zwischen-)Ziel für 2020 Ziel für 2030
EU28    
Gesamtziele – Pariser Klimaabkommen im Vergleich zu 1990
-20 -40
Ziele – EU-interne Regelungen    
Für ETS-Sektoren (Energiewirtschaft und Industrie; ca. 45 %) – EU-weit im Vergleich zu 2005
-21 -41
Für Nicht-ETS-Sektoren – Verteilung auf die verschiedenen EU28-Staaten => länderspezifische Ziele im Vergleich zu 2005
-10 -30
Deutschland    
Ziele – EU-interne Regelungen    
Für ETS-Sektoren (Anlagen Energiewirtschaft und Industrie)1 im Vergleich zu 20052
-21 -41
Für Nicht-ETS-Sektoren (Verkehr, Gebäude und Sonstige) im Vergleich zu 20052
-14 -38
Gesamtziel1 im Vergleich zu 1990
-33 -51
Nationale Ziele (nicht international verpflichtend)3 im Vergleich zu 1990
mindestens -40 % mindestens -55 %
Prognose 2019 (vor den klimapolitischen Maßnahmen im Herbst 2019)4 im Vergleich zu 1990
-33 -42

1 Das europaweite Ziel für 2030 (bzw. 2020) gilt für Deutschland nur, wenn es weder Emissionszertifikate kauft noch verkauft.  2 Schätzwerte für diese Ziele im Vergleich zu 1990: ETS-Sektoren: -33 % für 2020 und -53 % für 2030, Nicht-ETS-Sektoren -35 % für 2020 und -50 % für 2030.   3 Das nationale Ziel schließt die ETS-Sektoren ein, in denen der deutsche Treibhausgasausstoß Ergebnis des europaweiten Handels ist.  3 Schätzwerte für diese Ziele im Vergleich zu 1990: ETS-Sektoren: -33 % für 2020 und -53 % für 2030, Nicht-ETS-Sektoren -35 % für 2020 und -50 % für 2030.   4 Vgl. Bundesregierung: Projektionsbericht für Deutschland 2019, 2019, S. 23, https://cdr.eionet.europa.eu/de/eu/mmr/art04-13-14_lcds_pams_projections/projections/envxnw7wq/Projektionsbericht-der-Bundesregierung-2019.pdf (12.11.2019).

Eine effiziente deutsche Klimapolitik erfordert, eine Minderung des EU-weiten Treibhausgasausstoßes anzustreben, statt auf niedrigere deutsche Emissionen abzustellen. Die EU hat zur Erreichung ihres Klimaziels, den Treibhausgasausstoß ihrer 28 Mitgliedstaaten um 40 % (zwischen 1990 und 2030) zu reduzieren, zum einen das Emissions Trading System (ETS) für die Energiewirtschaft und die Industrie eingeführt.43 Mit Initiierung dieses EU-weiten Emissionshandels ist sie explizit von nationalen Reduktionszielen abgerückt. Zum anderen hat sie für die Bereiche Verkehr, Gebäude und Sonstige, die Nicht-ETS-Sektoren sind, ein Minderungsziel von 30 % (zwischen 2005 und 2030) vorgegeben. Daraus wurden länderspezifische Ziele abgeleitet, die die unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ihrer Mitgliedstaaten berücksichtigen und zwischen -40 % und 0 % liegen. Deutschland hat die Vorgabe, den Treibhausgasausstoß in seinen Nicht-ETS-Sektoren um 38 % zu reduzieren. Die EU hat sowohl in den Sektoren mit als auch ohne Emissionshandel ihr Zwischenziel für 2020 bereits vorzeitig erreicht,44 sodass sie 2030 ihren Klimaschutzbeitrag für das Pariser Abkommen wohl auch erfüllen kann.

Nationale klimapolitische Alleingänge nicht sinnvoll

Trotz dieses EU-weiten Klimaschutzkonzepts setzt Deutschland auf nationale Maßnahmen zur Senkung seiner Emissionen in den ETS-Sektoren, wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und den Kohleausstieg. Diese Maßnahmen sind überflüssig, denn sie führen nur dazu, dass der Zertifikatspreis sinkt und damit mehr Emissionen in den ETS-Sektoren der andern europäischen Länder ausgelöst werden, die die deutschen Treibhausgaseinsparungen kompensieren. Somit kommt es EU-weit nicht zu einem Rückgang der emittierten Menge. Zudem hätte der längerfristige Anstieg des Zertifikatspreises ohne Eingriffe der deutschen Regierung den Ausbau erneuerbarer Energien rentabel gemacht und zur Abschaltung von Kraftwerken mit hohem CO2-Ausstoß geführt. Vor diesem Hintergrund bezeichnet der Sachverständigenrat für Wirtschaft EEG und Kohleausstieg als „teuer und ineffizient“45.

Für die Nicht-ETS-Sektoren hat sich Deutschland gegenüber der EU verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um 14 % und bis 2030 um 38 % jeweils gegenüber 2005 zu senken (vgl. Tabelle 3). Schon jetzt ist absehbar, dass Deutschland dieses Ziel für 2020 deutlich verfehlen wird: Im Nicht-ETS-Bereich betrugen seine Treib­hausgasemissionen 2018 etwa 440 Mt CO2 eq und müssten bis 2020 auf 410 Mt CO2 eq und bis 2030 auf knapp 300 Mt CO2 eq zurückgehen. Diese Zielverfehlung ist vor allem auf den Verkehrssektor zurückzuführen und dort insbesondere auf die Zunahme der Inlandsfahrleistung europäischer Lkw in Deutschland.46 Als Folge muss Deutschland ab 2020 von anderen EU-Staaten ungenutzte Emissionszuweisungen kaufen, von denen es, wegen der vorzeitigen Erfüllung des Reduktionsziels in der EU, ausreichend viele am Markt geben dürfte. Im Bundeshaushalt wurden bereits für 2020, 2021 und 2022 jeweils 100 Mio. Euro für den Kauf solcher Emissionszuweisungen angesetzt. Zudem enthält das Klimaschutzpaket 2019 für die Nicht-ETS-Sektoren den Einstieg in den Handel mit Emissionszertifikaten – allerdings mit einem zu geringen Zertifikatspreis. Darüber hinaus ist es wenig sinnvoll, dass Deutschland auf europäischer Ebene Vereinbarungen zur Reduktion seines Treibhausgasausstoßes getroffen hat, sich aber gleichzeitig ehrgeizigere nationale Ziele setzt: Seine Treibhausgasemissionen sollen bis 2020 um mindestens 40 % und bis 2030 um mindestens 55 % sinken. Da in diese nationalen Reduktionsziele auch die ETS-Sektoren einbezogen wurden, ist ihre Nichterfüllung vorprogrammiert.47

Eine Eindämmung der Erderwärmung ließe sich am wirkungsvollsten erreichen, wenn weltweit der CO2-Ausstoß dort reduziert würde, wo die Vermeidungskosten am geringsten sind. Das setzte allerdings ein globales Klimaschutzabkommen voraus, das weit über die Abmachungen von Paris hinausginge, zwingend von den bedeutendsten Ländern unterzeichnet würde und Sanktionen enthielte, die die Einhaltung des Abkommens sicherstellten.48 Ein solches globales Abkommen ist jedoch vollkommen unrealistisch. Es wird auch nicht zu einem weltweiten CO2-Preis kommen, wie ihn Nordhaus bereits 1992 vorgeschlagen hat.49

Dennoch sollte Deutschland – gemeinsam mit Europa und anderen Industrieländern – anstreben, im Klimaschutz mehr globale Kosteneffizienz zu erreichen, indem es Entwicklungsländer und weniger entwickelte Schwellenländer stärker mit Transferzahlungen und technischem Know-how unterstützt. Denn viele dieser Länder produzieren mit veralteter Technik und hoher CO2-Intensität und decken ihren Energiebedarf überwiegend mit fossilen Brennstoffen. Entsprechend sind hier die Kosten für die Vermeidung von Emissionen klimaschädlicher Gase besonders niedrig.50 Für die finanzielle Unterstützung von Entwicklungsländern zur Verringerung ihrer Treibhausgas­emissionen und für ihre Anpassung an den Klimawandel wurde bei den Vereinten Nationen der Green Climate Fund eingerichtet. Er sollte von den Industrieländern auch mit den für 2020 zugesagten 100 Mrd. US-$ ausgestattet und unter Umständen noch aufgestockt werden.

Die bereits hohen und weiter steigenden Emissionen klimaschädlicher Gase sind auch Ergebnis des zu hohen Wachstums der Weltbevölkerung: Sie ist zwischen 1960 und 2017 – fast parallel zum CO2-Ausstoß und der Erdtemperatur – von 3,0 Mrd. auf 7,5 Mrd. gestiegen. Von dieser Zunahme um 4,5 Mrd. entfallen 2,7 Mrd. auf Asien und davon 1,6 Mrd. auf die beiden großen Treibhausgasemittenten China und Indien.51 China hat aufgrund seines starken Bevölkerungswachstums bereits in den 1970er Jahren rigorose Programme zur Geburtenkontrolle eingeführt und hat inzwischen nur noch moderate Wachstumsraten von etwa ½ % pro Jahr. Auch Indien hat früh Familienplanungsprogramme eingeführt52 und seine Geburtenraten zumindest gesenkt; dennoch liegt das Wachstum seiner Bevölkerung immer noch bei etwa 1,1 % pro Jahr. Die höchsten und seit 1960 nahezu unveränderten Wachstumsraten von 2,4 % bis 2,8 % pro Jahr weist allerdings die Gruppe der Länder mit niedrigen Einkommen auf, die sich in Südasien und vor allem in der Sub-Sahara konzentrieren.53 Hinzu kommt noch ein hohes Bevölkerungswachstum in den Ländern des Mittleren Ostens und Nordafrikas sowie ein moderates Wachstum in den meisten Industriestaaten.

Vor diesem Hintergrund wird die Weltbevölkerung weiter stark zunehmen. Die Vereinten Nationen prognostizieren, dass sie bis 2030 etwa auf 8,5 Mrd. steigen und bis 2050 zwischen 9,4 Mrd. und 12,7 Mrd. erreicht haben wird.54 Daher muss die Notwendigkeit, das weltweite Bevölkerungswachstum zu begrenzen, stärker in den Blickpunkt gerückt werden und internationale Anreize und Abkommen zur Senkung der Geburtenraten müssen thematisiert werden. Denn eine weiter stark steigende Weltbevölkerung führt nicht nur zu einem höheren Ausstoß klimaschädlicher Gase, sondern auch zu vielfältigen anderen Belastungen der Umwelt.

Schließlich sollte Deutschland seine Ressourcen nicht fast ausschließlich für Maßnahmen zur Vermeidung von Treibhausgas­emissionen nutzen, sondern auch auf nationale Maßnahmen zur Anpassung an die negativen Folgen des Klimawandels setzen und ausreichend Finanzmittel für staatliche Maßnahmen und zur Förderung privatwirtschaftlicher Initiativen bereithalten.55 Denn wir müssen uns auf eine weitere Erderwärmung und ihre Folgen, wie höhere Durchschnittstemperaturen, den Anstieg des Meeresspiegels, Wassermangel und zunehmende Wetterextreme einstellen. Die „unbequeme Wahrheit“ ist: Der Klimawandel wird weitergehen!

* Titel des Oscar-prämierten Dokumentarfilms von Al Gore.

Title:Climate Change Will Continue – an Inconvenient Truth

Abstract:Since the middle of the 20th century, the earth and climate systems have changed dramatically. The average global temperature is rising, leading to an increase in extreme weather conditions and a decline in biodiversity. This is caused mainly by the human­induced increase in the concentration of CO2 and other greenhouse gases in the atmosphere. In Germany, this has led to the demand to do more to combat global warming. This is associated with the idea that a strong reduction in German (and European) CO2 emissions can curb climate change and prevent its “worst consequences”. This is an illusion, because the previous climate agreements of Kyoto and Paris could not and cannot prevent a sharp increase in global CO2 emissions. Climate change will continue. In Germany, a rethink is necessary.

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DOI: 10.1007/s10273-019-2532-7

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