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Die deutsche Wirtschaft befindet sich seit Beginn des Jahres 2018 im Abschwung, wobei die konjunkturelle Dynamik vor allem durch das Verarbeitende Gewerbe geprägt wird. Die Industrieproduktion in Deutschland ist nunmehr bereits seit mehr als eineinhalb Jahren in der Tendenz rückläufig und insgesamt um mehr als 6 % gesunken. Zwar hat die Industrieproduktion auch andernorts stark an Dynamik eingebüßt, in der Regel allerdings deutlich weniger ausgeprägt als in Deutschland. So lag die Weltindustrieproduktion im 3. Quartal ausweislich der Angaben des Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis (CPB) offenbar noch oberhalb ihres Vorjahreswerts, während sie in Deutschland im gleichen Zeitraum um reichlich 4 % nachgab (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Industrieproduktion in Deutschland und in der Welt
Industrieproduktion in Deutschland und in der Welt

Anmerkungen: Quartalsdaten. Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %. 3. Quartal 2019: weltweite Industrieproduktion auf Basis von Juli und August.

Quellen: Deutsche Bundesbank; Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis CPB; eigene Berechnungen.

Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die exportgewichtete Industrieproduktion in mehr als 40 Volkswirtschaften (gewichtet mit den Länderanteilen an den deutschen Exporten) betrachtet. Bei einem insgesamt hohen Gleichlauf wies die deutsche Industrieproduktion zwar bereits in der Vergangenheit eine höhere Schwankungsbreite auf als die weltweite Industrieproduktion. Ein so großer Abstand zwischen den Vorjahresraten wie zuletzt war bislang jedoch lediglich im Zuge der globalen Finanzkrise zu beobachten.

Eine wichtige Ursache hinter der schwachen Industrieproduktion ist die globale wirtschaftspolitische Unsicherheit, die bereits seit einiger Zeit ein deutlich erhöhtes Niveau aufweist. Dazu beigetragen haben verschiedene Ereignisse, die nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Handelskonflikt zwischen den USA und China sowie dem Brexit stehen. Eine erhöhte Unsicherheit belastet insbesondere die Investitionstätigkeit der Unternehmen (Attentismus seitens der Investoren) und dämpft somit die weltwirtschaftliche Aktivität und den Welthandel. Als Maß für die globale wirtschaftspolitische Unsicherheit hat sich der von Baker et al. erhobene Indikator etabliert, der auf der Auswertung von Medienartikeln basiert.1 Empirische Analysen zeigen, dass ein Anstieg der Unsicherheit temporär einen dämpfenden Effekt auf die deutsche Industrieproduktion hat (vgl. Abbildung 2).2

Abbildung 2
Wirkung globaler Unsicherheit auf die Industrieproduktion
Wirkung globaler Unsicherheit auf die Industrieproduktion

Anmerkungen: Monatsdaten. Auswirkung eines globalen Unsicherheitsschocks. Grau: 68 %-Konfidenzintervall für Deutschland. Geschätzt in Anlehnung an M. Ademmer, J. Beckmann, N. Jannsen: Auswirkungen globaler wirtschaftspolitischer Unsicherheit auf die deutsche Konjunktur, IfW Kurzbericht, IfW Box 2019.8.

Quellen: Deutsche Bundesbank; Economic Policy Uncertainty; OECD; eigene Berechnungen.

Die Auswirkungen können quantitativ bedeutsam sein. So dämpft den Ergebnissen zufolge alleine der zwischen Juli und August 2019 zu beobachtende Anstieg der globalen politischen Unsicherheit die Industrieproduktion vorübergehend um etwa 1 %.3 Insgesamt sind die Auswirkungen auf die deutsche Industrieproduktion größer als in vielen anderen Volkswirtschaften. So geht die weltweite Industrieproduktion bei einem Anstieg der Unsicherheit in Höhe von einer Standardabweichung lediglich um bis zu 0,1 % zurück, während sich für Deutschland ein Rückgang von bis zu 0,4 % ergibt.4 Auch für den Euroraum insgesamt sind die Auswirkungen spürbar geringer als für Deutschland.

Die Auswirkungen auf die deutsche Industrieproduktion dürften nicht zuletzt deshalb recht ausgeprägt sein, weil ein vergleichsweise großer Teil der Produktion in den Export geht. So lag der Anteil der Ausfuhren am gesamten Produktionswert des Verarbeitenden Gewerbes 2016 bei über 60 %. In anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften, wie Italien, Spanien oder Kanada, lag der Anteil bei unter 50 % (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 3
Bedeutung von Exporten und Investitionsgütern für das Verarbeitende Gewerbe, 2016
Bedeutung von Exporten und Investitionsgütern für das Verarbeitende Gewerbe, 2016

DEU = Deutschland, FRA = Frankreich, ITA = Italien, ESP = Spanien, GBR = Großbritannien, USA, CAN = Kanada, JPN = Japan. Exportanteile: Anteil der Exporte am gesamten Produktionswert im Verarbeitenden Gewerbe. Maschinen- und Fahrzeugbau: Anteil Maschinen- und Fahrzeugbau an der gesamten Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe ausweislich der Definition der Weltbank, siehe https://datacatalog.worldbank.org/machinery-and-transport-equipment-value-added-manufacturing-0 (7.11.2019).

Quellen: IMF; OECD; Weltbank; eigene Berechnungen.

In den USA und Japan war er sogar noch deutlich niedriger. Ein Rückgang der weltwirtschaftlichen Aktivität, so wie er durch einen Anstieg der globalen wirtschaftspolitischen Unsicherheit verursacht wird, lastet demzufolge schwerer auf der Industrieproduktion in Deutschland als andernorts. Hinzu kommt, dass die deutsche Industrie in besonderem Maße auf die Produktion von Investitionsgütern spezialisiert ist. So machte der Maschinen- und Fahrzeugbau im Jahr 2016 in Deutschland mehr als 40 % der Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe aus. In anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften liegt dieser Anteil bei unter 40 % (Japan, Großbritannien, Frankreich) oder sogar bei unter 30 % (USA, Italien, Spanien). In dem Maß, in dem sich wirtschaftspolitische Unsicherheit in einer geringeren Investitionstätigkeit niederschlägt, wird die deutsche Industrieproduktion demzufolge besonders durch eine erhöhte globale Unsicherheit belastet.

Alles in allem hat die hohe wirtschaftspolitische Unsicherheit seit Anfang 2018 die Industrieproduktion in Deutschland wohl besonders stark belastet. Da die Industrie in Deutschland einen vergleichsweise hohen Anteil an der Bruttowertschöpfung ausmacht, dürfte dieser Befund auch gesamtwirtschaftlich gelten. Freilich ist die besonders schwache Entwicklung der Industrieproduktion in Deutschland nicht ausschließlich auf die hohe Unsicherheit zurückzuführen, lasten derzeit doch auch noch andere Faktoren auf der Produktion. So haben zum besonders starken Rückgang der Produktion im Fahrzeugbau wohl auch andere Ursachen wie Verschiebungen bei den Präferenzen der Verbraucher oder die Umstellung auf neue Produktionslinien wesentlich beigetragen. Ferner sind die Handelsverflechtungen Deutschlands mit den aufstrebenden asiatischen Märkten, wo sich die Handelsaktivität zuletzt besonders abgeschwächt hat, stärker als in vielen anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Schließlich befand sich die Industrie in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern zum Jahreswechsel 2017/2018 in einem ausgeprägten Boom, sodass die Fallhöhe für die Produktion hierzulande deutlich höher war.

Nils Jannsen

Nils.Jannsen@ifw-kiel.de

  • 1 S. R. Baker, N. Bloom, S. J. Davis: Measuring economic policy uncertainty, in: The Quarterly Journal of Economics, 131. Jg. (2016), H. 4, S. 1593-1636.
  • 2 Vgl. M. Ademmer, N. Jannsen: Globale Unsicherheit und deutsche Konjunktur, in: Wirtschaftsdienst, 99. Jg. (2019), H. 7, S. 519-520, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2019/7/globale-unsicherheit-und-deutsche-konjunktur/ (7.11.2019).
  • 3 Die Ergebnisse in Abbildung 2 zeigen die Auswirkungen eines Unsicherheitsschocks, der mit einem Anstieg der Unsicherheit von rund 25 Indexpunkten (entspricht einer Standardabweichung) einhergeht. Von Juli auf August 2019 ist der Indikator um etwa 60 Punkte gestiegen.
  • 4 Für die empirische Analyse werden in einem ersten Schritt zunächst Unsicherheitsschocks anhand eines globalen Modells identifiziert und in einem zweiten Schritt die Auswirkungen auf die Industrieproduktion in verschiedenen Regionen abgeschätzt. Die empirische Analyse orientiert sich eng an M. Ademmer, J. Beckmann, N. Jannsen: Auswirkungen globaler wirtschaftspolitischer Unsicherheit auf die deutsche Konjunktur, IfW Kurzbericht, IfW Box 2019.8, https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/ifw-box/2019/auswirkungen-globaler-wirtschaftspolitischer-unsicherheit-auf-die-deutsche-konjunktur-0/ (7.11.2019).

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DOI: 10.1007/s10273-019-2534-5