Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist wohl der meistbeachtete Indikator zur Messung der ökonomischen Aktivität. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht 45 Tage nach Quartalsende erstmalig eine Schnellschätzung für das deutsche BIP, die nächste Erstveröffentlichung für das erste Quartal 2019 erfolgt am 15. Mai 2019.

Für den Euroraum gibt die europäische Statistikbehörde Eurostat allerdings schon rund 30 Tage nach Quartals­ende eine solche vorläufige Schnellschätzung bekannt. Gemäß diesen Angaben hat das Euroraum-BIP im ersten Quartal 2019 saison- und kalenderbereinigt um knapp 0,4 % gegenüber dem Vorquartal zugenommen.1 Diese Schnellschätzung der Zuwachsrate des BIP im Euroraum beruht laut Pressemeldung auf Angaben aus 17 Mitgliedstaaten, die 93 % der Wirtschaftsleistung des Euroraums abdecken. Daraus lässt sich schließen, dass auch unveröffentlichte Daten zum deutschen BIP eingeflossen sind, das einen Anteil von 29,3 % am Euroraum-Aggregat hat. Aus der methodischen Beschreibung zur BIP-Schnellschätzung im Euroraum geht hervor, dass sämtliche von den Mitgliedstaaten für das Referenzquartal verfügbaren Schnellschätzungen verwendet werden, unabhängig davon, ob die jeweilige „t+30“-Schätzung eines Landes auch veröffentlicht wird oder ob sie (wie im Fall von Deutschland) nicht veröffentlicht wird und Eurostat die Daten lediglich intern zur Verfügung gestellt bekommt, um die Schnellschätzung für den Euroraum zu erstellen.2

Anders als in Deutschland veröffentlichen die nationalen Statistikämter in einigen Mitgliedsländern bereits 30 Tage nach Quartalsende eine BIP-Schnellschätzung, also ebenfalls rund zwei Wochen früher als das Statistische Bundesamt. Diese Länder machen in der Summe mehr als die Hälfte der Wirtschaftskraft des Euroraums aus und haben jüngst (30. April) die BIP-Zuwächse für das erste Quartal des Jahres vorgelegt, darunter Frankreich (Zuwachs um 0,3 %), Italien (0,2 %), Spanien (0,7 %), Belgien (0,2 %), Österreich (0,3 %), Litauen (1,0 %) und Lettland (-0,3 %). Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung in Irland und Luxemburg werden dagegen erst deutlich später als 45 Tage nach Quartalsende bekannt gegeben, insofern ist zu vermuten, dass diese Länder in der Schnellschätzung für den Euroraum nicht berücksichtigt werden (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Veröffentlichungen von BIP-Schnellschätzungen im Euroraum einen Monat nach Quartalsende
Veröffentlichungen von BIP-Schnellschätzungen im Euroraum einen Monat nach Quartalsende

Quellen: Eurostat; Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen; eigene Berechnungen und Darstellung.

Abbildung 2
BIP-Zuwächse nach Ländergruppen im ersten Quartal 2019
BIP-Zuwächse nach Ländergruppen im ersten Quartal 2019

Frankreich (20,2 %), Italien (15,3 %), Spanien (10,4 %), Belgien (3,9 %), Österreich (3,3 %), Litauen (0,4 %), Lettland (0,3 %).  2 Niederlande (6,6 %), Finnland (2 %), Portugal (1,7 %), Griechenland (1,6 %), Slowakei (0,8 %), Slowenien (0,4 %), Estland (0,2 %), Zypern (0,2 %), Malta (0,1 %).  3 Irland (2,7 %), Luxemburg (0,5 %).

Anmerkung: Jeweils in Klammern: Anteil am Euroraum-BIP.

Quellen: Eurostat; Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen; eigene Berechnungen und Darstellung.

Die BIP-Schnellschätzung für den Euroraum und die vorliegenden Angaben aus einigen Mitgliedsländern lassen sich nutzen, um auf die darin enthaltenen unveröffentlichten Daten zum deutschen BIP zu schließen, die das Euroraum-Aggregat wesentlich beeinflussen (vgl. Abbildung 2). Zunächst kann die Zuwachsrate für den Kreis derjenigen Länder berechnet werden, die 30 Tage nach Quartalsende eigene Schnellschätzungen veröffentlichen (0,35 %). Im zweiten Schritt lässt sich daraus in Verbindung mit der Schnellschätzung für den Euroraum die Rate bestimmen, mit der die Wirtschaftsleistung in den übrigen Ländern – also jene Länder ohne veröffentlichte „t+30“-Schnellschätzung – zugelegt haben muss (0,4 %). Die deutsche Wirtschaft bringt fast zwei Drittel der Wirtschaftskraft dieser Ländergruppe „auf die Waage“, insofern ist diese errechnete BIP-Zuwachsrate ein erster Hinweis auf die ungefähre Höhe der entsprechenden Zuwachsrate in Deutschland. Um diesen Schätzwert genauer zu fassen, wird in einem dritten Schritt bestimmt, wie sich dieser BIP-Zuwachs auf Deutschland und die übrigen Länder ohne frühe Schnellschätzung verteilt haben dürfte.

Da Irland und Luxemburg wohl keine Daten für die Schnellschätzung des Euroraums liefern, werden diese beiden Länder in der Abschätzung „neutralisiert“, indem für sie derselbe Zuwachs wie im gesamten Euroraum unterstellt wird. Neben Deutschland gibt es neun weitere Länder ohne veröffentlichte frühe Schnellschätzung, wobei allein die Niederlande hiervon knapp die Hälfte ausmachen. Für diese Länder werden Kurzfristprognosemodelle verwendet, um den jeweiligen BIP-Zuwachs im Berichtsquartal zu schätzen. Die so bestimmte mittlere Zuwachsrate für diese Ländergruppe beträgt 0,5 %. Rein arithmetisch bleibt für die deutsche Volkswirtschaft damit ein Zuwachs von 0,35 % übrig.3 Diese Zahl kann als aktuelle Schnellschätzung für den Zuwachs des deutschen BIP im ersten Quartal 2019 aufgefasst werden. Mit Blick auf gängige Frühindikatoren übertrifft dieser Wert derzeit die Erwartungen vieler Konjunkturbeobachter.4

Diese Schätzung kann sich aus mehreren Gründen von dem Wert unterscheiden, der schließlich 45 Tage nach Quartalsende offiziell vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht wird:

  • Erstens verändert sich die amtliche Statistik in der Zwischenzeit, da zusätzliche Daten eingehen, die für eine präzisere Schätzung des BIP berücksichtigt werden – dies dürfte der wesentliche Grund für den Verzicht der amtlichen Statistik in Deutschland auf eine frühere Veröffentlichung sein, denn diese muss immer einen Ausgleich zwischen den beiden Qualitätsmerkmalen Schnelligkeit und Revisionsanfälligkeit im Auge haben.
  • Zweitens kann der unterstellte BIP-Zuwachs für die übrigen Länder von dem Wert abweichen, den die jeweiligen nationalen Statistikämter im Rahmen der Schnellschätzung tatsächlich an Eurostat übermittelt haben.
  • Drittens kann es Rundungsfehler geben, da die Zuwachsrate für einige Länder nur auf eine Nachkommastelle gerundet vorliegt.

Trotz dieser Unsicherheiten war dieses Verfahren in der jüngeren Vergangenheit recht zuverlässig: Für das dritte Quartal 2018 zeigte es beispielsweise einen Rückgang des deutschen BIP um 0,3 % an, der in der amtlichen Statistik mit 0,2 % nur etwas geringer ausfiel. Im vierten Quartal 2018 zeigte die errechnete Schnellschätzung einen Zuwachs des deutschen BIP um 0,1 % an, die amtliche Statistik meldete zwei Wochen später eine Stagnation (0,0 %).

Die Entscheidung, ob und wann Daten veröffentlicht werden, obliegt den nationalen statistischen Ämtern. So wurde in dem Mandat zur Erarbeitung einer Methodik für die „t+30“-Schnellschätzung des Euroraums betont, dass dieses Verfahren „keinesfalls darauf abziele, die Mitgliedstaaten dazu zu drängen, nationale vierteljährliche BIP-Daten 30 Tage nach Quartalsende zu veröffentlichen“5. Nichtsdestotrotz wird die Schnellschätzung für den Euroraum maßgeblich von unveröffentlichten Daten über das deutsche BIP getrieben. Sie stellt damit ein nur geringfügig verrauschtes Signal über die – freilich vorläufige – amtliche Statistik dar, das mit wenig Aufwand entschlüsselt werden kann.

  • 1 Eurostat: BIP im Euroraum um 0,4 % und in der EU28 um 0,5 % gestiegen, Pressemeldung vom 30.4.2019, https://ec.europa.eu/eurostat/news/news-releases (9.5.2019).
  • 2 Eurostat: Euro area and European Union GDP flash estimates at 30 days, Statistical working papers, 2016, S. 5, https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-statistical-working-papers/-/KS-TC-16-003-EN-N (9.5.2019).
  • 3 Alternativ kann für die übrigen neun Länder auch unterstellt werden, dass ihre Wirtschaftsleistung entweder (1) mit einer Rate zugelegt hat wie der Euroraum insgesamt oder (2) mit derselben Rate wie diejenigen Länder, für die bereits Informationen vorliegen. Daraus würde sich für Deutschland ein BIP-Zuwachs von jeweils 0,4 % ergeben.
  • 4 Vgl. z. B. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Konjunktur deutlich abgekühlt – Politische Risiken hoch, Frühjahr 2019. Hier wurde für das erste Quartal ein Zuwachs des BIP in Deutschland von 0,2 % erwartet.
  • 5 Eurostat: Euro Area and European union ..., a. a. O., S. 16.

Beitrag als PDF


DOI: 10.1007/s10273-019-2460-6