Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Die Leistungen der Pflegeversicherung wurden seit 2017 durch das zweite Pflegestärkungsgesetz ausgeweitet. Weitere Leistungsausweitungen werden diskutiert. Als Beitrag zur Finanzierung wurde ein Finanzausgleich zwischen der privaten und der sozialen Pflegeversicherung vorgeschlagen, um diese zu entlasten. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, dass mit irreführenden Zahlen argumentiert wird. Ein Finanzausgleich brächte der sozialen Pflegeversicherung kaum Entlastung und könnte sich sogar zu ihren Ungunsten entwickeln.

In der Vergangenheit wurde mehrfach gefordert, die soziale Pflegeversicherung (SPV) auszubauen. Nachdem der Pflegebedürftigkeitsbegriff bereits im zweiten Pflegestärkungsgesetz Gegenstand von tiefgreifenden Reformen war, geht es nun um die grundsätzliche Ausrichtung der Pflegeversicherung als einer Teilleistungsversicherung.1 Inzwischen wurden entsprechende Vorschläge auch in der Politik aufgegriffen. Die Bundestagsfraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen fordern kurzfristig die Einführung eines Finanzausgleichs zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung.2 Mehrere Bundesländer machen sich für den „Sockel-Spitze-Tausch“ stark, der durch einen Steuerzuschuss zur sozialen Pflegeversicherung finanziert werden soll.3 Die soziale Pflegeversicherung ist derzeit als eine Summenversicherung ausgestaltet: Der Eintritt eines bestimmten Pflegegrads geht einher mit fixierten Leistungsansprüchen, die unabhängig vom konkreten Bedarf bzw. den im Einzelfall anfallenden Pflegekosten sind. Alle über die festen Leistungen hinausgehenden Pflegekosten sind von den Pflegebedürftigen selbst zu tragen. Dies betrifft auch zukünftige Kostensteigerungen, solange die Leistungshöhen nicht vom Gesetzgeber angepasst werden. Insbesondere vor dem Hintergrund der angestrebten Verbesserungen in der Qualität und der beabsichtigten Erhöhung der Vergütung von Pflegekräften würde die bestehende Regelung vor allem zu einer steigenden finanziellen Belastung der Pflegebedürftigen führen.4 Mittelbar wären davon auch Angehörige und in letzter Instanz die Kommunen betroffen, die über die Sozialhilfe die Pflegekosten tragen, falls Betroffene und Angehörige damit überfordert sind. Die Sozialleistungen im Rahmen der Hilfe zur Pflege betrugen 2017 insgesamt 3,9 Mrd. Euro.5 Die Absicherung des Pflegekostenrisikos wird derzeit nur von einer freiwilligen privaten Pflegekostenversicherung vollständig gewährleistet, die jedoch im Vergleich zu Pflegerenten oder Pflegetagegeldversicherungen weniger nachgefragt wird.6

Soziale Pflegeversicherung als Vollversicherung mit Selbstbehalt

Der Vorschlag des „Sockel-Spitze-Tausch“, der auf Rothgang und Kalwitzki7 zurückgeht, besteht darin, das Absicherungsniveau der sozialen Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung mit festem Selbstbehalt umzubauen. Damit hätten die Pflegebedürftigen nur noch einen festen Eigenanteil pro Jahr zu tragen, der zudem auch in der Summe über mehrere Jahre begrenzt werden könnte; darüber hinausgehende Kostenrisiken lägen dann vollständig bei der sozialen Pflegeversicherung. Die Verteilungswirkungen einer solchen Ausgestaltung wurden von Arentz und Wild8 diskutiert.

Es ist offensichtlich, dass dies nach dem zweiten Pflegestärkungsgesetz eine weitere bedeutende Leistungsausweitung wäre. Im bestehenden System müsste ein solcher Systemwechsel zu entsprechend höheren Beiträgen führen. Angesichts der bevorstehenden Ausgabendynamik in den sozialen Sicherungssystemen ist dies keine Nebensächlichkeit.9 Alternativ müssten andere Finanzierungsquellen erschlossen werden. Der Antrag der Bundesländer schlägt einen Steuerzuschuss zur sozialen Pflegeversicherung vor.10

Besonders empfindlich für demografische Alterung

Die demografische Entwicklung hat in den letzten Jahren scheinbar eine Pause gemacht: Die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre stehen noch im Berufsleben, oft auf dem Gipfel ihrer Karriere. Durch den starken Zuzug der letzten Jahre sind zudem die jüngeren Kohorten gestärkt worden. Dies hat z. B. in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu einem leichten Rückgang des Durchschnittsalters der Versicherten geführt – ganz im Gegensatz zum allgemeinen demografischen Trend.11

Die demografische Entwicklung wird bald wieder an Dynamik gewinnen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge das Rentenalter erreichen, in etwa ab dem Jahr 2025. Die soziale Pflegeversicherung ist stärker als die GKV einem demografisch bedingten Beitragssatzanstieg ausgesetzt, insbesondere weil die Altersabhängigkeit der Leistungen in der Pflege sehr stark ausgeprägt ist.12 Für die soziale Pflegeversicherung wird sich der Übergang der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand anfänglich auf der Einnahmenseite bemerkbar machen, denn das Pflegerisiko steigt erst ab dem Alter 70 merklich an. Dies bedeutet, dass ab 2035 die Zahl der Pflegebedürftigen und die Höhe der Leistungen stark steigen werden.13

Finanzausgleich zwischen privater und sozialer Pflegeversicherung

Verschiedentlich wurde in Wissenschaft und Politik in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, einen Finanzausgleich zwischen sozialer und privater Pflegepflichtversicherung (PPV) zu etablieren.14 Mit Hinweis auf die günstigere Risikostruktur wird eine Vergemeinschaftung der Pflegerisiken in einem gemeinsamen Risikopool angestrebt, wie auch im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD 2005 bereits einmal angedacht wurde.15 Eine solche gemeinsame Risikoübernahme wäre grundsätzlich vorstellbar, weil die Leistungsansprüche in beiden Systemen gleich sind. Die Hoffnung, dass sich damit die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung substanziell verbessern ließe, ist jedoch unbegründet und wird mit irreführenden Berechnungen belegt. Ein solcher Finanzausgleich wäre im Vergleich zu einer einheitlichen Pflegeversicherung (Bürgerpflegeversicherung), bei der die private Pflegeversicherung auch zu einer lohnabhängigen Beitragserhebung verpflichtet würde, eine weniger weitreichende Reform.16

Risikostruktur der Privatversicherten

Im Kontext der Forderungen nach einem Finanzausgleich wird auf die Pro-Kopf-Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung verwiesen, die „mehr als dreieinhalbmal so hoch“17 wie die der privaten Pflegeversicherung seien. Dabei wird unterstellt, die private Pflegeversicherung könne durch die Auswahl der Versicherten einen Großteil der Pflegebedürftigen fernhalten und dem System der sozialen Pflegeversicherung überlassen. Da ein wesentlicher Teil der Pflegeausgaben der PPV-Versicherten von der Beihilfe getragen wird, ist bereits auf den ersten Blick ersichtlich, dass der Vergleich von sozialer und privater Pflegeversicherung unvollständig ist – die Ausgaben für Pflegeleistungen der privat Pflegeversicherten liegen deutlich über den Ausgaben der privaten Pflegeversicherung. Selbst unter Berücksichtigung der von Bund, Ländern und Kommunen finanzierten Beihilfeausgaben lägen die Ausgaben in der sozialen Pflegeversicherung mit fast 500 Euro zwar mehr als doppelt so hoch wie in der privaten Pflegeversicherung mit nur knapp 200 Euro.18 Der Blick auf aktuelle Pro-Kopf-Ausgaben ist jedoch irreführend, weil die Altersstruktur der privaten Pflegeversicherung einen Großteil der Unterschiede erklären kann. Dieser aktuelle Vorteil der privaten Pflegeversicherung wird sich im Laufe der nächsten Jahre zu einem Nachteil für sie entwickeln. Ein Finanzausgleich müsste dann die PPV-Versicherten entlasten und dazu Mittel aus der sozialen Pflegeversicherung abzweigen.

Die Ausgaben pro Versichertem lagen 2017 in der sozialen Pflegeversicherung bei 488,31 Euro19 und in der privaten Pflegeversicherung bei 138,29 Euro20. Allerdings wird ein nicht unwesentlicher Teil der Pflegekosten von Privatversicherten durch die Beihilfe gedeckt. Analysiert man die Zusammensetzung der privaten Pflegeversicherung auf Basis der von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht veröffentlichten Statistiken,21 so stellen Beihilfeberechtigte einen Anteil von gut 63 % unter den mindestens 70-jährigen PPV-Versicherten (vgl. Abbildung 1). Das Beihilfeniveau im Pensionsalter liegt typischerweise bei 70 %. Deswegen ist der Wert 138,29 Euro um die Beihilfeanteile 247,39 Euro zu korrigieren.

Abbildung 1
Altersschichtung der privaten Pflegeversicherung nach Geschlecht und Beihilfestatus, 2017
Absolutwerte der Versicherten je Alterstufe


Altersschichtung der privaten Pflegeversicherung nach Geschlecht und Beihilfestatus, 2017

Quelle: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: Wahrscheinlichkeitstafeln PKV 2017, 2018, https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Statistik/PKV/dl_wahrscheinlichkeitstafeln_pkv_2017.zip (18.4.2019).

Greift man auf die Wahrscheinlichkeitstafeln der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht für die private Pflegeversicherung zurück, so ergibt sich ein Wert von 291,14 Euro, der jedoch auch Sicherheitszuschläge enthält.22 Das Ziel eines Finanzausgleichs ist es, die unterschiedlichen Risiken aus sozialer und privater Pflegeversicherung zusammenzuführen und auszugleichen. Da die Finanzierung der beiden Systeme bei einem solchen Ausgleich fortbesteht, kann ein Ausgleich nur auf Basis der Ausgaben erfolgen. Addiert man nun die Ausgaben aus sozialer und privater Pflegeversicherung unter Berücksichtigung der Beihilfe, so können die mittleren Ausgaben pro versicherter Person bestimmt werden. Eine bestandsgewichtete Mittelung zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung, ausgehend von einem Ausgabenniveau von 247,39 Euro pro versicherter Person in der privaten Pflegeversicherung ergibt den Wert 460,99 Euro – da die private Pflegeversicherung nur etwa ein Achtel der Versicherten stellt, liegt der Wert nah an dem der sozialen Pflegeversicherung. Würden die Leistungsausgaben gepoolt und die Übernahme der Leistungen gleichmäßig auf die Versicherten der sozialen und privaten Pflegeversicherung verteilt, hätte die private Pflegeversicherung zu den Leistungen ihrer eigenen Versicherten einen finanziellen Ausgleich in Höhe von 1,99 Mrd. Euro an die soziale Pflegeversicherung leisten müssen. Für die soziale Pflegeversicherung würde das eine Senkung des Beitragssatzes von etwa 0,14 Prozentpunkten erlauben. Der Effekt für die soziale Pflegeversicherung wäre also überschaubar. Gleichzeitig würde aber das demografieanfällige Umlageverfahren gerade in Zeiten einer spürbaren Alterung weiter ausgedehnt. Schon aus systematischen Erwägungen erscheint dies ein fragwürdiger Ansatz.23

Abbildung 2
Altersschichtung der privaten Pflegeversicherung,1 2017
Anteilswerte der einzelnen Altersstufen am Gesamtbestand
Altersschichtung der privaten Pflegeversicherung,1 2017

1 Zum Vergleich ist als blaue Linie der Wert für die soziale Pflegeversicherung angegeben.

Quellen: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: Wahrscheinlichkeitstafeln PKV 2017, 2018, https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Statistik/PKV/dl_wahrscheinlichkeitstafeln_pkv_2017.zip (18.4.2019); Bundesversicherungsamt: GKV-Ausgabenprofile nach Alter, Geschlecht und Hauptleistungsbereichen, 1996-2017 (Stand: 7.11.2018), 2018, https://www.bundesversicherungsamt.de/fileadmin/redaktion/Risikostrukturausgleich/Info-Dateien%20und%20Auswertungen/20181108GKV_Altersausgabenprofile_1996-2017.xlsx (3.3.2019).

Bei einer genaueren Analyse wird jedoch deutlich, dass die soziale Pflegeversicherung von einem solchen Zusammengehen von sozialer und privater Pflegeversicherung sogar zusätzlich belastet werden könnte. Die pro Versichertem veranschlagten Pflegekosten in der privaten Pflegeversicherung sind vor allem deswegen niedriger, weil die Altersstruktur der PPV-Versicherten anders als die der sozialen Pflegeversicherung derzeit weniger Menschen in den Altersstufen jenseits von 70 Jahren aufweist (vgl. Abbildung 2). Stattdessen ist die Altersstruktur der privaten Pflegeversicherung in den Geburtsjahrgängen 1952 bis 1977 stärker besetzt als die der sozialen Pflegeversicherung.24 Vergleicht man die Bestände von privater25 und sozialer Pflegeversicherung26 hinsichtlich der Altersstruktur, so haben diese Jahrgänge in der privaten Pflegeversicherung ein Anteil von 54,7 % am Gesamtbestand, in der sozialen Pflegeversicherung nur von 44,7 % (vgl. Abbildung 2). Da diese Jahrgänge nun sukzessive das pflegerelevante Alter erreichen, wird sich die derzeit noch günstige Risikostruktur der privaten Pflegeversicherung absehbar verschieben und die durchschnittlichen Leistungsausgaben erhöhen. Hätte die private Pflegeversicherung im Jahr 2017 eine Alters- und Geschlechtsschichtung wie die soziale Pflegeversicherung, so lägen die Leistungen pro Versichertem bei 410,84 Euro bzw. bei Bereinigung um Sicherheitszuschläge bei 349,21 Euro. Dies ist im Vergleich zu den tatsächlichen Pro-Kopf-Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung von 488,31 Euro ein Unterschied von knapp 29 %. Durch die überdurchschnittliche Lebenserwartung der privat Versicherten, die statistisch belegt ist,27 wird der verbleibende Vorteil der privaten Pflegeversicherung jedoch weiter reduziert.

Fazit zum Vorschlag eines Ausgleichs zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung

Da der Anteil der versicherten Personen im pflegerelevanten Alter bei der privaten Pflegeversicherung in 15 Jahren deutlich höher ausfallen dürfte als in der sozialen Pflegeversicherung, könnte es trotz der um knapp 29 % niedrigeren Leistungsausgaben zu einer Situation kommen, in der die Leistungsausgaben der privaten Pflegeversicherung pro Versichertem über denen der sozialen Pflegeversicherung liegen. Bei Risikoteilung von privater und sozialer Pflegeversicherung würde dies zu einem Finanzausgleich der sozialen an die private Pflegeversicherung führen.

Die Diskussion über einen Ausgleich mit der Privatversicherung lenkt daher davon ab, dass die Vorschläge zu einer weiteren starken Ausweitung der Pflegeleistungen die Problematik stark steigender Sozialversicherungsbeiträge zusätzlich verschärft. Vor dem absehbaren demografischen Druck auf die umlagefinanzierten Sicherungssysteme erscheint die aktuelle Diskussion einseitig auf die Ausweitung von Leistungen konzentriert. Die finanziellen Folgen werden insbesondere in der Gesundheitspolitik bislang nicht ausreichend zur Kenntnis genommen.

Title:Long-term Care Insurance: Private to Public Transfer Provides No Relief

Abstract:The benefits of long-term care insurance (LTCI) were recently extended by the German legislature. The article examines further improvements of the benefits. A financial transfer mechanism between the public and the private branch of LTCI has been proposed as a possible funding contribution. But detailed analysis reveals that the underlying arguments are deceptive and that this would be of only minor assistance to the public LTCI branch. Eventually, such a transfer mechanism may actually turn out to be an additional burden for the public LTCI branch.

Beitrag als PDF


DOI: 10.1007/s10273-019-2468-y

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.