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Die Grünen wollen Hartz IV durch ein garantiertes Einkommen ersetzen, das höher ist als das derzeitige Arbeitslosengeld II und nach Einkommen, Vermögen und Bedarf gewährt wird, ansonsten aber bedingungslos und ohne Sanktionen ist. Aktive Beschäftigungspolitik und Mindesteinkommenspolitik sind in diesem Konzept strikt getrennt. Parteichef Robert Habeck schätzt die Kosten auf 30 Mrd. Euro, was eindeutig zu niedrig geschätzt ist. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt müssten berücksichtigt werden und die Finanzierung der Lebenshaltungskosten für Studierende würde ebenfalls in die öffentliche Verantwortung fallen.

Die Grünen wollen „Hartz IV“ durch eine Garantiesicherung „überwinden“, wie die Arbeit an ihrem neuen Grundsatzprogramm zeigt.1 Der Co-Vorsitzende der Partei, Robert Habeck, hat diese Vision in groben Strichen skizziert.2 Sein Konzept sieht einen bedingungslosen und gleichzeitig bedarfsgeprüften Rechtsanspruch auf eine Garantiesicherung vor. Sie soll von einer eigenständigen Behörde ausgezahlt werden, also nicht vom Jobcenter; Existenzsicherung und Arbeitsmarktpolitik werden somit entkoppelt. Ab dem 18. Geburtstag können junge Erwachsene die Garantieleistung einfordern; da sie bedingungslos ist, gibt es keine Handhabe, ihren Erhalt an die Bereitschaft zur Ausbildung zu koppeln. Die Garantiesicherung soll höher sein als die jetzigen Ansprüche auf Arbeitslosengeld II, um „tatsächlich das Existenzminimum [zu] garantieren und Teilhabe am sozialen Leben [zu] ermöglichen“3. Aus der Begründung ist zu schließen, dass die Erhöhung substanziell sein soll, sie wird aber von Habeck nicht quantifiziert. Die Transferentzugsrate soll auf 70 % gesenkt werden. Habeck greift die von zahlreichen Ökonomen geäußerte berechtigte Kritik auf, dass sich für Transferbezieher die Aufnahme von Arbeit nicht genügend lohnt. Die Vermögensgrenze soll 100 000 Euro pro Person betragen, wobei geförderte Altersvorsorge und selbstgenutztes Wohneigentum „im üblichen Umfang“ von der Prüfung ausgenommen werden sollen. Bei den meisten Haushalten dürfte damit das Vermögen dem Anspruch auf ein Garantieeinkommen nicht im Wege stehen. Ein Paar, das ein schuldenfreies Einfamilienhaus in attraktiver Lage und knapp 200 000 Euro Finanzvermögen besitzt, befindet sich im obersten Fünftel der Vermögensbesitzer.4 Langfristig strebt Habeck eine vollständige Individualisierung der Garantiesicherung und damit die Abkehr von der Berücksichtigung des Haushaltskontextes an. Auch der Partner einer gut verdienenden Erwerbstätigen hätte dann Anspruch auf die Garantiesicherung, wenn sein individuelles Einkommen unterhalb der Bedarfsschwelle liegt (zuzüglich dessen, was aufgrund der Transferentzugsregelung von seinem Einkommen nicht angerechnet wird). Die Erhöhung des Garantieeinkommens gegenüber den jetzigen Ansprüchen, sehr hohe Vermögensfreigrenzen und ein niedrigerer Transferentzug würden bis weit in die Mitte der Gesellschaft Ansprüche auf ergänzendes Garantieeinkommen entstehen lassen.

Abschreckung gegen Schwarzarbeit?

Dass die Kombination von Garantiesicherung und Schwarzarbeit attraktiv sein könnte, sehen auch die Grünen, wenngleich dabei betont wird, nicht das Menschenbild derer zu teilen, die diese Gefahr besonders herausstellen. Die Gefahr umfangreicher Schwarzarbeit ergibt sich aus dem von den Grünen angestrebten Systembruch, die Garantiesicherung bedingungslos zu gewähren. Die auszahlende Behörde hätte keine Handhabe gegen illegale „Kombieinkommen“. Sie kann im Gegensatz zu den Jobcentern heute bei Empfängern, die nicht oder nur geringfügig arbeiten, nicht insistierend nachfragen, warum trotz bestehender Beschäftigungsmöglichkeiten keine Arbeit aufgenommen oder die Arbeitszeit nicht erweitert wurde. Die vorgesehene Senkung der Transferentzugsrate auf 70 % würde zwar dem Risiko der Schwarzarbeit entgegenwirken, weil legale Arbeit etwas lohnender wird. Aber wenn die Nichtaufnahme einer Beschäftigung bei vermuteter Schwarzarbeit nicht mehr durch den Entzug von Transferleistungen sanktioniert werden kann und keine anderen Kontrollmaßnahmen das Risiko erhöhen, dürfte dieser Effekt gering sein.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft „Wirtschaft und Finanzen“ der Grünen fordert in einem Beschluss vom Dezember 2018, Schwarzarbeit konsequenter als Straftat zu ahnden: „Die Strafen sollen sowohl für die Arbeitgeber*innen, wie für die Schwarzarbeitenden so hoch sein, dass sie trotz niedriger Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden, eine wirklich abschreckende Wirkung erzielen. Diese Strafen sollen konsequent vollzogen werden.“5 Was aber könnte diese abschreckende Wirkung entfalten? Haftstrafen für Arbeitgeber und Schwarzarbeiter? Das dürfte allenfalls bei Verfehlungen möglich sein, bei denen eine systematische Nutzung der Schwarzarbeit in großem Umfang und über längere Zeit nachweisbar ist. Sonst wird es bei Geldstrafen bleiben müssen. Auch die Privathaushalte müssten strengen Kontrollen unterzogen werden, schließlich findet Schwarzarbeit in bedeutendem Umfang auch dort statt. Bemerkenswert ist auch, dass die Grünen mit der abschreckenden Wirkung eines verschärften Strafrechts argumentieren, ganz im Sinne einer ökonomischen Theorie des Rechts, die davon ausgeht, dass Straftäter auf Grundlage eines Vergleichs des erwarteten Ertrags illegaler Tätigkeit und der zu erwartenden Strafe rational abwägen, ob sie das Recht brechen. Viele Menschen werden jedoch rechtsbrüchig, weil sie die potenziellen Folgen der Illegalität nicht bis zum Ende durchdenken. Selbst eine stark erhöhte Strafandrohung würde letztlich nur wirken, wenn auch die Entdeckungswahrscheinlichkeit deutlich erhöht würde, dies gelänge aber nur mit einem sehr engen Kontrollnetz, auch im Privatbereich. Eine wirksame abschreckende Wirkung könnte nur ein Sozialstaat leisten, dem ein Polizeistaat zur Seite steht.

30 Mrd. Euro werden bei weitem nicht reichen

Bezüglich der Kosten des Habeck-Vorschlags kann auf eine Ende 2018 für die Grünen erstellte Abschätzung des ifo Instituts von Maximilian Blömer und Andreas Peichl zurückgegriffen werden,6 auch wenn keine der dort gerechneten Varianten mit dem Vorschlag Habecks identisch ist. Die von Habeck selbst für „die wichtigsten Schritte“ genannte und in der Öffentlichkeit unkritisch rezipierte Zahl von 30 Mrd. Euro ist ein mittlerer Wert aus den Modellrechnungen des ifo Instituts. Habeck will eine deutliche Anhebung der Leistungen; am ehesten damit kompatibel ist die umfangreichste Variante der ifo-Berechnungen, bei der eine Erhöhung des Regelbedarfs bei Erwachsenen um 100 Euro und bei Kindern um 80 Euro vorgesehen ist. Die Transferentzugsrate wird durchgängig auf 70 % gesenkt, wobei die ersten 100 Euro Erwerbseinkommen wie heute nicht angerechnet werden sollen. Eine Vermögensprüfung entfällt in der ifo-Rechnung gänzlich; die Auszahlung des Garantieeinkommens soll durch die Finanzämter erfolgen, die nicht über die Daten für eine Vermögensprüfung verfügen. Durch die Zuständigkeit der Finanzämter wird auch in der ifo-Simulation Einkommenssicherung und Arbeitsmarktpolitik strikt getrennt. Der fiskalische Mehrbedarf dieser Variante wird in einer sogenannten Morning-after-Schätzung (d. h. statische Sofortwirkungen ohne Verhaltenseffekte) mit ca. 57 Mrd. Euro beziffert. Bei einer Erhöhung des Regelbedarfs um 50 Euro pro Erwachsenen und 40 Euro pro Kind ermitteln die ifo-Forscher einen Mehrbedarf von 39 Mrd. Euro.7

Nicht berücksichtigt ist dabei die von Habeck als Langfristperspektive genannte Individualisierung der Leistungsansprüche und damit die Nichtberücksichtigung des Haushaltskontextes. Die ifo-Wissenschaftler sprechen sich sehr eindeutig dagegen aus, Partnereinkommen nicht anzurechnen; Alleinverdienerhaushalte würden bevorzugt, Anreize zur „traditionellen“ Alleinverdienerehe verstärkt. Alle vom ifo Institut simulierten Varianten haben den großen Vorteil, dass die Nettoeinkommenskurve monoton steigt und die heutigen erratischen Sprünge bei der Grenzbelastung des Einkommens bei unteren Einkommensbeziehern überwunden werden. Mehr zu arbeiten würde sich stets lohnen, während es heute sogar Stellen in der Nettoeinkommenskurve mit einer Grenzbelastung von über 100 % gibt, ein höheres Bruttoeinkommen somit zu einem Rückgang des Nettoeinkommens führt.

Da Habeck nicht nur die Transferentzugsrate senken, sondern die Transferzahlungen deutlich erhöhen will, wird der Vorschlag entsprechend teuer. Unter diesem grundsätzlichen Dilemma stehen alle diesbezüglichen Vorschläge. Bei Kosten von 57 Mrd. Euro (bzw. bei geringerer Regelbedarfserhöhung von 39 Mrd. Euro) würde es zudem nicht bleiben, da Verhaltenseffekte zu erwarten sind. Die Senkung der Transferentzugsrate auf 70 % wird zwar moderate positive Effekte auf das Arbeitsangebot haben.8 Jedoch ist zu erwarten, dass die Suchdauer in der Arbeitslosigkeit steigen wird, wenn ein Rückgriff auf Vermögen faktisch nicht mehr erforderlich und die Leistung zudem bedingungslos ist. Habeck benennt als Vorteil seines Vorschlags, dass der Freiraum geschaffen werde, den Umfang der Erwerbsarbeit zu reduzieren, etwa um ehrenamtlich zu arbeiten. Man mag das für wünschenswert halten; die damit verbundenen Ausfälle an Steuern und Sozialabgaben sind dann aber in einer Gesamtkostenschätzung zu berücksichtigen.

Kaum abzuschätzen sind die Folgen der Bedingungslosigkeit des Garantieeinkommens ab dem 18. Geburtstag. Ziehen derzeit junge Erwachsene von zu Hause aus, übernimmt das Jobcenter die Kosten der Unterkunft nur, wenn es diesen Umzug vorab genehmigt hat (§ 22, Abs. 5 SGB II).9 Junge Erwachsene haben also nicht die freie Wahl, die Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern zu verlassen. Beim Garantieeinkommen wäre dies anders. Welche Folgen hat die Bedingungslosigkeit für die Ausbildungsbereitschaft und den Beginn der Erwerbstätigkeit? Muss man in Deutschland wohnen, um die Garantieleistung zu beziehen (und wer könnte den Aufenthalt wirksam kontrollieren?) oder kann man sie auch nutzen, um nach dem Abitur erst einmal längere Zeit ins Ausland zu gehen?

Ergänzende Transferleistungen auch in der Mitte der Gesellschaft?

Sinkende Transferentzugsraten erweitern den Einkommensbereich, in dem ergänzende Transferleistungen gezahlt werden. Das betrifft in besonderer Weise Familien mit mehreren Kindern, da das Transferleistungsniveau bei Arbeitslosigkeit der Eltern, das bei Aufnahme und Ausweitung der Erwerbstätigkeit abgeschmolzen wird, entsprechend hoch sein muss, um den soziokulturellen Bedarf der Familien zu decken. In dem Modell von Habeck wären die ergänzenden Transfers bedingungslos, sie würden somit vermutlich von den betroffenen Familien nicht negativ konnotiert. Bleibt es aber bei den heutigen Regeln, erhalten bei sinkenden Transferentzugsraten vermehrt Familien mit mittleren Einkommen ergänzendes Arbeitslosengeld II (ALG II) bzw. werden in kritischer Konnotation von diesem abhängig.

Wie bewertet man dies? Maximilian Blömer, Clemens Fuest und Andreas Peichl haben jüngst zu dieser Frage Stellung bezogen. Eine Ausweitung des Einkommensbereichs, in dem man ergänzendes ALG II erhalten könne, „wäre ein gewünschter Effekt der Reform und für sich genommen nicht problematisch.“10 Hier unterschätzten die Autoren die kommunikativen Risiken einer solchen Reform.11 Der Kreis der Familien, die als „Hartz-IV-Familien“ gelten, würde sich hin zu mittleren Einkommen verschieben. Aufgrund der öffentlich verfestigten Gleichsetzung von Transferbezug und Armut lebten in öffentlicher Wahrnehmung auch die Kinder dieser Familien in Armut. Da erwerbstätige ALG-II-Empfänger pauschal den „Working Poor“ zugeschlagen werden, würde scheinbar auch dieses Problem in der Mitte der Gesellschaft an Brisanz gewinnen. Zudem ist mit der Beantragung von ALG II die Verpflichtung verbunden, die Vermögensverhältnisse offenzulegen; auch unterliegt die Angemessenheit der Wohnung Restriktionen. Daher sollten alternative Wege des ergänzenden Einkommenstransfers an Familien geprüft werden. Eine Möglichkeit wäre, Kindergeld, Kinderzuschlag und die pauschalierten Wohnkosten für Kinder zu einer einkommensabhängigen Kindergrundsicherung zusammenzuführen. Sie könnte wie bisher an auf ergänzende Transferleistungen angewiesene Eltern in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung oberhalb eines zu definierenden Beschäftigungsumfangs oder Erwerbseinkommens von der Familienkasse ausgezahlt werden. Familien von Beschäftigten mit niedrigen Erwerbseinkommen würden dann verlässlich außerhalb eines Systems unterstützt, das „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ heißt und den diskreditierenden Namen „Hartz IV“ wohl nicht mehr abstreifen kann. Diese Reformaufgabe ist höchst komplex und kann hier nicht weiter vertieft werden.

Verlieren Jobcenter Kontakt zu prekären Milieus?

Robert Habeck stellt die aktive Arbeitsmarktpolitik nicht grundsätzlich infrage. Die Jobcenter können weiterhin beraten oder auch Eingliederungsvereinbarungen abschließen. Habeck regt an, dass Jobcenter dies mit monetären Leistungsprämien belohnen; auch diese Kosten müsste man kalkulieren. Die Jobcenter bzw. die Arbeitsagenturen hätten kein Instrument mehr, auf eine Kontaktaufnahme durch langzeitarbeitslose Menschen zu dringen. Es besteht dadurch die Gefahr, dass der Sozialstaat den aktivierenden Kontakt, insbesondere zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie zu arbeitslosen Menschen in prekärer Lebenslage, verliert. Die Finanzbehörden sind nur in der Lage, nach den ihnen vorliegenden Informationen eine Zahlung zu administrieren. Hier rächt sich, dass sich mittlerweile in der öffentlichen Meinung eine pauschale Abwertung der Arbeit der Fallmanager in den Jobcentern breit gemacht hat, die trotz aller berechtigten Kritik sehr weit von der Empirie entkoppelt ist.

Nachdenken sollte man auch darüber, ob mit dem Übergang der Auszahlungen an die Finanzämter das System weniger einzelfallgerecht wird. Nach derzeitiger Rechtslage werden Transferempfängern die tatsächlichen Kosten der Unterkunft erstattet, soweit diese als angemessen anerkannt sind. Wollte man dies bei einer Garantiesicherung fortsetzen, müssten künftig die Finanzämter prüfen, ob die Wohnkosten angemessen sind. Diese Entscheidungen sind hochkonfliktiv und mit ständigen rechtlichen Auseinandersetzungen verbunden. Wenn sowohl die Transferleistungen erhöht als auch die Transferentzugsrate gesenkt würde, hätten Haushalte bis weit in die Mitte der Einkommensverteilung Anspruch auf ergänzende Garantiesicherung. Sie müssten, wenn es bei der heutigen Berechnung der Bedürftigkeit bliebe, die Höhe und Angemessenheit ihrer Wohnkosten detailliert nachweisen, was aber die damit verbundenen Konflikte und den bürokratischen Aufwand entsprechend erhöhen würde. Realistischer in der Umsetzung wäre dann eine Pauschalierung der Wohnkosten mit regionalen Differenzierungen. Jedoch unterscheiden sich Mieten auch in der gleichen Region je nach Lage sowie zwischen Altverträgen und Neuanmietung. Pauschalen müssten dann entweder so hoch sein, dass die meisten Konstellationen abgedeckt werden, in der Folge würden die Kosten deutlich steigen. Oder die Pauschalen würden sich an mittleren Werten orientieren, woraufhin bei einem Teil der Haushalte Probleme der Unterdeckung des soziokulturellen Bedarfs entstünden; dies auf Kosten der Einzelfallgerechtigkeit.

Individualisierung des Anspruchs?

Der gravierendste Systembruch wäre die von Habeck als Langfristperspektive in den Raum gestellte Individualisierung des Garantieeinkommens. Selbstredend erhöht dies die Zahl der Berechtigten, auch wenn es keine Anpassungen beim Arbeitsangebot gäbe, denn Menschen, die bisher über ihren Partner abgesichert waren, erhielten einen eigenständigen Anspruch. Auswirkungen auf das Arbeitsangebot sind zudem wahrscheinlich. Für Paare wird die Kombination von einer Vollzeitstelle und einer Garantieleistung zu einer überlegenswerten Alternative zur Doppelerwerbstätigkeit mit Vollzeit- und Halbtagstätigkeit. Solche Reaktionen abzuschätzen, ist äußerst schwierig. Die Unwägbarkeiten des Systembruchs sind bei der bedingungslosen bedarfsgeprüften Garantieleistung sicherlich geringer als beim bedingungslosen Grundeinkommen für alle, aber sie sind dennoch gravierend.

Bei der derzeitigen Rechtslage kann das Arbeitslosengeld II, von gewissen Härtefällen abgesehen, nicht genutzt werden, um den Lebensunterhalt während eines Studiums zu finanzieren (§ 7, Abs. 5 SGB II). Wenn das Garantieeinkommen bedingungslos ist, wäre es nicht konsequent, es im Falle der Aufnahme eines Studiums zu verweigern, somit ginge die Lebensunterhaltssicherung von Studierenden in öffentliche Verantwortung über – diese Folgen sind in der Simulationsrechnung nicht berücksichtigt. Bei ca. 3 Mio. Studierenden wären sehr grob überschlagen weitere Kosten in Höhe von ca. 20 Mrd. Euro zu verbuchen.12

Politisch attraktiv ist der Habeck-Vorschlag für die Grünen, weil er die auch in seiner Partei stark verbreiteten Sehnsucht nach einem bedingungslosen Grundeinkommen entgegenkommt und gleichzeitig die Kritik von links aufgreift, „Millionäre und Gutverdiener“13 bräuchten kein Grundeinkommen. Zwar ist dies das schwächste Argument gegen das bedingungslose Grundeinkommen, weil es bei Gutverdienern wie ein Steuerfreibetrag wirkt und sie das, was sie erhalten, über erhöhte Steuern mindestens zurückzahlen werden (sonst wäre die Finanzierung völlig illusorisch), aber es ist ein politisch sehr wirksames Argument. Habeck scheint eine Lösung zu haben, die „Hartz IV“ überwindet und gleichzeitig nicht so weit geht wie das bedingungslose Grundeinkommen. Die von Habeck genannte Zahl von 30 Mrd. Euro ist eine krasse Unterschätzung der fiskalischen Belastungen seines Vorschlags. Die Morning-after-Schätzung des ifo Instituts von 57 Mrd. Euro und die Finanzierung des Lebensunterhalts von Studierenden durch die öffentliche Hand von ca. 20 Mrd. Euro führen bereits in andere Dimensionen. Auch müssten Anpassungen des Arbeitsangebots berücksichtigt werden, die sich insbesondere infolge der Bedingungslosigkeit der Garantieleistung einstellen dürften. Es besteht die Gefahr, dass sich die Zahl von 30 Mrd. Euro in der öffentlichen Wahrnehmung verfestigt und der Eindruck hängen bleibt, mit etwa 1 % der Wirtschaftsleistung wäre eine grundlegende visionäre Änderung der Verhältnisse zu finanzieren.

Realsozialpolitik nicht diskreditieren

Jeder darf seine Visionen haben. Aber für den Diskurs zur Reform des Sozialstaats haben solche Maximalvisionen nachteilige Folgen. Sie wecken Erwartungen, die, in welcher Regierungskonstellation auch immer, nicht zu erfüllen sind. Die real erreichbaren Schritte zur materiellen Besserstellung von Menschen, die arm sind bzw. niedrige Einkommen haben, werden deutlich bescheidener ausfallen. Es wird nicht gelingen, gänzlich auf Bedingungen für den Transferbezug zu verzichten. Derzeit wird vielfältig über die Reform der Grundsicherung für Arbeitsuchende diskutiert:

  • die Senkung der Transferentzugsrate ohne Übergang zur Bedingungslosigkeit,
  • verbunden damit die Glättung der Nettoeinkommenskurve für Bezieher ergänzender Transferleistungen,
  • der Wechsel der Zuständigkeit für sozialversicherungspflichtig beschäftigte Leistungsempfänger vom Jobcenter zur Agentur für Arbeit,
  • die Reform des Sanktionsregimes,
  • die Anhebung des Schonvermögens oder großzügigere Regelungen zur Angemessenheit der Wohnung für langjährig Versicherte.

Es ist möglich, „Hartz IV“ zu reformieren, ohne den arbeitsmarktpolitischen Erfolg der Agenda 2010 zu untergraben.14 Aber gegenüber der großen Vision des Garantieeinkommens erscheinen alle diese Reformschritte nur als mutloses Klein-Klein. Dies würde auch die Sozialrealpolitik einer künftigen Bundesregierung belasten, an der die Grünen beteiligt wären.

So sinnvoll es ist, wie das ifo Institut vorschlägt,15 bei langjährig Beschäftigten höhere Vermögensfreigrenzen vorzusehen: Selbst Haushalten mit sehr hohem Vermögen den Zugang zu einer bedingungslosen Garantieleistung offenzuhalten, würde spätestens dann infrage gestellt werden, wenn die für die Finanzierung erforderlichen Steuermehrbelastungen quantifiziert werden müssten. Schließlich werden höhere Steuern auch Menschen treffen, die weniger oder kein Vermögen haben. Vehemente Debatten, ob neue Belastungen fair wären, gäbe es auch, wenn sich eine Regierungsmehrheit daran machen würde, die Garantieleistung strikt zu individualisieren. Gelingt es nicht, eine Ausweitung von Schwarzarbeit und damit erhöhten Wettbewerbsdruck auf legale Beschäftigung zu vermeiden, ergäben sich zusätzliche Legitimationsprobleme.

Ein massives Problem ist auch die um sich greifende Diskreditierung der Bedarfsprüfung in der jetzigen Debatte. Sie sei unwürdig und zwinge Menschen „sich nackig zu machen“. Nun kann man dafür eintreten, die Grenzen zwischen bedarfsgeprüften und allen Bürgern ohne Bedarfsprüfung zustehenden Unterstützungssystemen neu zu ziehen. Aber wenn Debatten dazu stets mit einer pauschalen Abwertung der Bedarfsprüfung verbunden werden, erhöht dies die Stigmatisierung derer, die weiterhin auf eine bedarfsgeprüfte Unterstützung angewiesen sind. Dies kann Menschen sogar davon abhalten, die ihnen zustehenden Hilfen zu beantragen. Mit dem Verzicht auf jede Bedarfsprüfung ergäben sich hohe fiskalische Belastungen, da Ansprüche bei Personen entstehen, die kein Armutsrisiko haben, gegebenenfalls auch der gut situierten Mitte angehören. Soziale Transfers, die nicht zielgenau unterstützen, sind nur mit neuen Abgabenbelastungen dauerhaft zu finanzieren, die – auch das wird in der Debatte ausgeblendet – zu großen Teilen die Mitte selbst tragen muss. Das kann die Solidaritätsbereitschaft mit dem unteren Rand der Gesellschaft schwächen.

Title:Guarantee Assurance – Robert Habeck’s Doubtful Vision to Overcome Hartz IV

Abstract:The German Green Party seeks to “overcome Hartz IV” with a guaranteed income. It should be higher than the current unemployment benefit II (Arbeitslosengeld II) and be dependant on income, assets and needs, but should otherwise be unconditional. Sanctions no longer exist. Active employment policy and minimum income policy are strictly separated in this concept. One danger is that the job centres lose contact with people in precarious situations. The Green Party leader, Robert Habeck, puts the cost at 30 billion euros, which is clearly an underestimation. Effects on the labour market would have to be taken into account, and financing the cost of living for students would also become a public responsibility. In the long-term, Habeck proposes that entitlement to the guaranteed income be independent of a partner’s income. This would be a radical and costly break in the system.

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DOI: 10.1007/s10273-019-2493-x

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