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Eine von Facebook angeführte Unternehmensgruppe plant die Einführung der neuen Kryptowährung Libra. Die Initiative wurde stark kritisiert. Aber der Einsatz der Blockchain-Technologie für Geldtransfers kann nicht auf Dauer verhindert werden. Vielmehr könnte die Initiative der Digitalisierung des Geldes einen großen Schub verleihen. Allerdings gibt es kaum ein europäisches Unternehmen, das an diesem Projekt teilnimmt. Daher besteht die Gefahr, dass Europa bei der Digitalisierung des Geldes verliert.

Am 18. Juni 2019 veröffentlichte eine Gruppe von 28 von Facebook geführten Unternehmen ein Weißbuch, in dem die Einführung einer neuen Kryptowährung namens Libra vorgeschlagen wurde. Die Gruppe verspricht „eine stabile Währung, die auf einer sicheren und stabilen Open-Source-Blockchain basiert, mit Vermögenswerten gedeckt ist und von einer unabhängigen Vereinigung verwaltet wird“1. Durch die Unterstützung namhafter Unternehmen von Visa bis Vodafone erscheint dies als der wichtigste Anlauf zur Einführung einer neuen Kryptowährung seit der Schaffung von Bitcoin. Doch könnten die Folgen viel weitreichender sein. Libra ist als „stable coin“ konzipiert, d. h. als Kryptowährung, die voll durch Vermögenswerte gedeckt wird. Ihre Kaufkraft wird nicht durch Angebot und Nachfrage nach der Währung selbst bestimmt (wie bei Bitcoin), sondern durch hinterlegte Vermögenswerte. Dafür dient ein Korb von bestehenden „Fiat“-Währungen, die von Zentral- und Geschäftsbanken geschaffen wurden, international konvertierbar, liquide und kaufkraftstabil sind. Somit wird sich der Wechselkurs von Libra gegenüber einer der Korbwährungen im Verhältnis zur Bewegung dieser Währung gegenüber den anderen Korbwährungen verändern. Und die Veränderung des Wechselkurses einer anderen Währung gegenüber Libra entspricht ihrer Bewegung gegenüber dem Währungskorb. Die Libra-Geldmenge wächst mit den Käufen der Nutzer, die dafür konventionelles Geld verwenden.

Libra wird von den Mitgliedern der Libra Association ausgegeben und verwaltet. Die Mitgliederzahl soll von zunächst 28 mit der Zeit auf rund 100 Unternehmen steigen. Face­book spielte bei der Gründung der Vereinigung eine Schlüsselrolle, wird aber künftig die gleichen Privilegien und finanziellen Verpflichtungen haben wie jedes andere Gründungsmitglied. Facebook gründete Calibra, eine regulierte Tochtergesellschaft, um die Trennung zwischen Sozial- und Finanzdaten zu gewährleisten und in seinem Namen an der Libra Association teilzunehmen. Facebook beweist hier Weitblick und bindet große Anbieter von Zahlungssystemen, mobilen Netzwerken und Mikrokrediten ein, die hierdurch wiederum für Kryptowährungs-Projekte etwaiger Konkurrenten wie Amazon, Apple oder Google nicht mehr unmittelbar zur Verfügung stehen dürften. Allerdings wird nach dem aktuellen Stand Calibra zumindest für eine gewisse Zeit der einzige Wallet-Anbieter sein, was trotz der Trennung von der Mutter Fragen nach der Datenkontrolle aufwirft.

Neues Blockchain-Konzept

Die Libra-Blockchain ist ein neues Konstrukt, das die für Schnelligkeit und Präzision geschätzte Programmiersprache „Rust“ verwendet. Für die Benutzer der Blockchain wird (ähnlich wie mit „Solidity“ bei Ethereum) eine spezielle Programmiersprache namens „Move“ entwickelt. Es handelt sich um eine „permissioned blockchain“, die es ermöglicht, neben den Mitgliedern der Libra Association auch andere Betreiber (Nodes) für die Validierung von Transaktionen zu beauftragen. Die Blockchain soll schon bald in der Lage sein, eine große Zahl von Transaktionen in kurzer Zeit abzuwickeln, wie sie für die Bedienung von Milliarden von Konten benötigt wird.2 Die aktuell publizierten 1000 Transaktionen pro Sekunde liegen allerdings noch weit entfernt von den durchschnittlich 56 000 Transaktionen im Visa-Netzwerk. Die Nutzung von Libra für Geldtransfers ist nur mit geringen Gebühren belastet und ermöglicht es den Nutzern, Transfers unter Pseudonym durchzuführen. Allerdings ist zu erwarten, dass an den Schnittstellen zum traditionellen Zahlungsverkehr unter Geldwäsche- und Know-Your-Customer-Regulierungen Identitäten geprüft werden.

Die Architektur der Blockchain ermöglicht mit entsprechenden Schnittstellen einfache und schnelle Anbindungen mit einer Zeile Code an Webshops, sodass jeder Kiosk kurzfristig in der Lage sein könnte, Libra als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Sollte sich Libra schnell etablieren, würde sich im „Internet der Dinge“ und in der „Industrie 4.0“ die Möglichkeit ergeben, Warenströme an Maschine-zu-Maschine-Zahlungen zu koppeln. Dies könnte dazu genutzt werden, Warenströme zu dokumentieren (Supply Chain Track-und-Trace) und in einem weiteren Schritt die darin enthaltenen Informationen auszuwerten. Wenn tatsächlich einmal wesentliche Zahlungs- und Warenströme auf der Libra-Blockchain dokumentiert und abgewickelt werden, ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten für die Analyse dieser Daten. Zahlt z. B. eine große Firma drei Tage später als üblich, könnten Finanzmarktakteure als Käufer der Analysedaten Rückschlüsse auf die Liquidität dieser Firma ziehen. Technisch gesehen sind der Transparenz keine Grenzen gesetzt und nach aktuellem Stand sind Regelungen wie das Bankgeheimnis in Blockchain-Währungen unbeantwortet.

Der Deckungsstock für Libra

Der Reservepool zur Abdeckung von Libra soll wertstabil und liquide sein. So wird die Vereinigung nur in kurzfristige Schuldtitel von Ländern mit niedriger Inflationsrate und mit geringer Ausfallwahrscheinlichkeit investieren.3 Es kommen nur Papiere infrage, die an liquiden Märkten mit einem täglichen Volumen von 10 Mrd. bis 100 Mrd. Euro gehandelt werden. Die Zinserträge gehen an die Mitglieder der Libra-Vereinigung. Angesichts der Anforderungen ist zu erwarten, dass der Währungskorb zur Deckung von Libra hauptsächlich die G7-Währungen enthalten wird. Da die Zinssätze für kurzfristige Verbindlichkeiten in US-Dollar, britischem Pfund und kanadischem Dollar weiterhin positiv sind, kann der Verband von Anfang an mit Zinserträgen rechnen. Unter der Annahme, dass die Zusammensetzung der Währung im Wesentlichen die Größe der Volkswirtschaften widerspiegelt, die die Währungen emittieren, würde der jährliche Zinssatz für die Reserve derzeit etwa ein ¾ % betragen. Wenn also 1 Mrd. Nutzer ein Libra-Wallet im Wert von durchschnittlich 1000 US-$ besitzen würden, hätte die Vereinigung eine Vermögensbasis im Wert von 1000 Mrd. US-$ und jährliche Zinserträge von rund 7,5 Mrd. US-$. Sie würde wie ein sehr großer Geldmarktfonds aussehen, der für seine Kunden nicht deshalb attraktiv ist, weil er Zinsen zahlt, sondern weil er bargeldlose Zahlungen mit geringen Gebühren ermöglicht.

Vorteile für den Libra-Nutzer

Libra könnte aus drei Gründen attraktiv werden:

  1. Sie bietet kostengünstige Peer-to-Peer-Geldtransfers in beliebiger Höhe und über jede Entfernung.
  2. Sie bietet ein stabiles Instrument zur Wertaufbewahrung mit geringen Risiken aus Wechselkursschwankungen des Reservekorbs (wenn auch ohne Zinsen).
  3. Sie könnte sich zur Rechnungseinheit entwickeln, wenn Lieferanten auf globalen Handelsplattformen sich dafür entscheiden, ihre Waren in Libra zu bepreisen.

Bedenkt man, dass Facebook und seine Tochtergesellschaften heute bereits rund 2,7 Mrd. Nutzer und Visa und Mastercard 1,6 Mrd. Nutzer haben, die nicht alle auch Facebook-Nutzer sind, liegt das Kundenpotenzial für Libra weit über dem einer der bestehenden Währungen. Rechnet man die eigentliche Zielgruppe des Libra-Projekts „Financial Inclusion“ – also Menschen ohne Zugang zu Bankverbindungen – ergibt sich im Vergleich zur globalen Bevölkerung eine potenziell hohe Durchdringung vom ersten Tag an. Für eine schnelle Verbreitung sprechen nicht nur die Erfahrungen der Initiatoren in programmatischen Schnittstellen und die damit verbundenen Web-Technologien (die populäre JavaScript-Erweiterung REACT wurde von Facebook entwickelt). Auch die Beteiligung von Zahlungssystem-Anbietern kann als Flucht nach vorne gesehen werden: Anstatt von Blockchain-basierten Zahlungssystemen überrannt zu werden, nehmen diese jetzt als Betreiber der Validator-Nodes die Rolle ein, die sonst Geschäftsbanken in der klassischen Abwicklung von Zahlungen zukommt.

Die Opposition

Dagegen stößt Libra auf den Widerstand von drei Gruppen, die das derzeitige Kreditgeldwesen zum Schutz ihrer Interessen erhalten wollen. (1) Geschäftsbanken befürchten, Kunden zu verlieren, wenn Libra zum bevorzugten Mittel für Transaktionen wird. (2) Zentralbanken befürchten, dass ihre Fähigkeit, die Wirtschaft zu steuern, nachlassen wird, wenn ein erheblicher Teil der ausstehenden Geldmenge durch kurzfristige Staatskredite gedeckt wird. (3) Und Politiker befürchten, dass sie von einem Großkreditnehmer abhängig werden, der nur an kurzfristigen Schatzwechseln zur Finanzierung der Staatsausgaben interessiert ist. Daher nehmen diese Gruppen eine von Natur aus skeptische Haltung gegenüber Libra ein und stellen mögliche Probleme in den Vordergrund. Aus ihrer Sicht könnte Libra die Geldwäsche, Zahlungen für kriminelle Aktivitäten und den Missbrauch privater Daten erleichtern, die Nutzer finanziellen Risiken aussetzen und Risiken für das Finanzsystem schaffen, indem ein großer Bestand an Finanzanlagen entsteht und die Wirksamkeit der Geldpolitik untergraben wird. Viele dieser Befürchtungen sind jedoch übertrieben.

Libra dürfte für Geldwäsche und kriminelle Aktivitäten nicht anfälliger sein als das bestehende Bar- und Bankengeld. Datenschutz ist ein allgemeines Problem in der digitalen Wirtschaft und nicht auf digitales Geld begrenzt. Geldpolitik hat ihre Wirkungskraft auch ohne Libra in erheblichem Maße eingebüßt und hoch verschuldete Staaten hängen heute schon vom guten Willen der Finanzmärkte ab. Wenn 1 Mrd. Nutzer Libra-Wallets im Wert von durchschnittlich 6500 US-$ besitzen, hätte der Libra-Reservefonds 6,5 Billionen US-$ Assets zu verwalten, nicht mehr als Blackrock, die größte Fondsgesellschaft der Welt. Da der Libra Reservefonds nur kurzfristig in hochliquide Vermögenswerte von sehr guter Qualität investiert, hätte er höchstwahrscheinlich geringere Liquiditäts- und Ausfallrisiken als der durchschnittliche Investmentfonds. Darüber hinaus würde der Libra Reserve Fund mit 6,5 Billionen US-$ nur rund 14 % der breiten Geldmenge (M3) der G7-Länder ausmachen.

Eine europäische Antwort auf Libra

Es gibt nur sehr wenige europäische Unternehmen, die in der Lage wären, sich an diesem Projekt zu beteiligen. Aus europäischer Sicht wäre daher zu befürchten, dass die Libra Association von US-Plattformunternehmen mit globalen Netzwerken dominiert wird. Somit könnte mit Libra eine US-dominierte Weltwährung entstehen, welche die bereits durch die Dominanz des US-Dollars als internationale Reservewährung geschaffene globale Finanzmacht der USA verstärkt. Gerade das könnte auch ein Grund für die US-Regulierungsbehörden sein, für Libra die Tür nicht zu schließen.

Aufgrund seiner geringeren Transaktionskosten für den Nutzer könnte Libra auch im Euroraum als Ersatz für den Euro attraktiv werden. Will Europa nicht auch noch von einer US-dominierten Kryptowährung abhängig werden, müsste es eine eigene Kryptowährung schaffen. Die CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag hat kürzlich einen digitalen Euro als Antwort auf Libra vorgeschlagen.4 Damit hätten Nutzer aus dem Euroraum kein Wechselkursrisiko wie bei Libra, und Europa würde bei der Entwicklung von Kryptowährungen nicht abgehängt. Die Fraktion will den Euro nach der gleichen Methode digitalisieren wie Libra. Leider hat sie dabei aber ein wichtiges Detail übersehen. Libra kann dem Nutzer quasi kostenlose Transaktionen bieten, weil der Reservestock Zinseinkommen zur Kostendeckung abwerfen soll. Aufgrund der Anforderungen hinsichtlich Stabilität und Liquidität dürften vor allem Anlagen in Währungen der G7-Länder infrage kommen. Darunter werfen der US-Dollar, der kanadische Dollar und das britische Pfund auf Anlagen mit Monatsfrist positive Zinsen von 0,75 % bis rund 2 % ab. Anlagen in Yen und Euro kosten dagegen 0,2 % bzw. 0,6 %. Die Libra-Vereinigung kann den zinstragenden Währungen ein größeres Gewicht einräumen und dadurch die Zinskosten von Yen und Euro kompensieren. Ein auf den als Kreditgeld verfassten Euro aufgepfropfter digitaler Euro bräuchte einen Reservestock, der Zinsen kostet statt bringt. Das bedeutet letztlich hohe Kosten, die dem Nutzer in Rechnung gestellt werden müssten. Die Wechselkursschwankungen des Euro gegenüber einem Korb von G7-Währungen sind nicht so hoch, dass die Nutzer einen kostenpflichtigen digitalen Euro einer mit G7-Währungen gedeckten Libra vorziehen würden.

Eine andere Möglichkeit wäre, die Emission eines digitalisierten Euro durch die Europäische Zentralbank.5 Damit könnten Transaktionskosten, die heute mit dem als Bar- und Kreditgeld der Banken emittierten Euro verbunden sind, deutlich gesenkt und der Euro gegenüber Libra zumindest im Euroraum attraktiver gemacht werden. Die Kosten für die Emission wären durch die bei der EZB anfallende Seignorage (Gewinn aus der Geldschöpfung) mehr als gedeckt. Noch wehren sich die Verantwortlichen in der EZB gegen digitales Zentralbankgeld unter Berufung auf die Volumina, die traditionelle Zahlungssysteme durchlaufen.6 Letztlich werden die Bedenkenträger Kryptowährungen aber nicht verhindern können. Statt zu nörgeln sollten sie sich am Wettbewerb als Entdeckungsverfahren im Geldwesen beteiligen.

Title:Libra is a Challenge for Europe

Abstract:In June of this year, a group of 28 companies led by Facebook published a White Paper proposing the creation of a new crypto currency named Libra. The initiative has been much criticised by politicians, regulators and central bankers. But these critics will not be able to prevent the use of blockchain technology for money transfers forever. The initiative could give the digitalisation of money a big boost. There is hardly a European company able to participate in this project, however. This presents the risk that Europe will lose out in the digitalisation of money.


DOI: 10.1007/s10273-019-2492-y