Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Die Ankündigung der Libra Association, mit Libra eine private globale Währung zu emittieren, hat eine heftige Debatte über die damit verbundenen Chancen und Risiken ausgelöst. Befürworter erwarten, dass Libra das Geldsystem von seinen „staatlichen Fesseln“ befreien und den Zahlungsverkehr weltweit liberalisieren und verbilligen kann. Gegner argumentieren, dass eine private Währung erhebliche Risiken für den einzelnen Nutzer und das gesamte Finanzsystem mit sich bringt. Darüber hinaus könne Libra die Effizienz der nationalen Geldpolitiken einschränken. Dieser Beitrag erläutert das Konzept von Libra und leitet aus deren Vor- und Nachteilen das Marktpotenzial von Libra ab. Zudem werden Implikationen für die Geldpolitik und die Finanzmarktregulierung beleuchtet.

Im Juni 2019 sorgte ein von Facebook geführtes Konsortium, die Libra Association, weltweit für Aufsehen, als es die Einführung der Kryptowährung „Libra“ für das Jahr 2020 ankündigte. Ziel dieses Projekts sei es, „eine einfache, globale Währung und finanzielle Infrastruktur bereitzustellen, die das Leben für Milliarden von Menschen leichter macht.“1 Im Sinne einer besseren finanziellen Inklusion sollen „mehr Menschen Zugriff auf Finanzdienstleistungen und günstiges Kapital“2 erhalten. Dies soll mittels einer Währung erreicht werden, „die auf einer sicheren und stabilen Open-Source-Blockchain [Libra-Blockchain] basiert, die durch eine Reserve aus echten Wertanlagen [Libra-Reserve] gestützt und von einer unabhängigen Organisation [Libra Association] verwaltet wird.“3

Es kann nicht überraschen, dass schon die Ankündigung eines solchen Projekts vielfältige Reaktionen provoziert hat. Befürworter erwarten, dass mit Libra die Effizienz des internationalen Zahlungsverkehrs deutlich verbessert werden kann.4 Sie sehen auch die Chance, dass mit einem neuen privaten Geld Währungskonkurrenz im Sinne der Hayek‘schen Entnationalisierung des Geldes entsteht und so die (politökonomischen) Probleme staatlichen Geldes sowie des darauf aufbauenden Kreditgeldsystems überwunden werden können.5 Kritiker verweisen dagegen vor allem auf die Gefahren für die Finanzstabilität – nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen während der großen Finanzkrise 2008. Mit Einführung der Libra wird ein großer internationaler Reservefonds geschaffen, die sogenannte Libra-Reserve, von dem im Krisenfall erhebliche Ansteckungseffekte und systemische Risiken ausgehen könnten. Entsprechend wird eine umfassende, international abgestimmte Regulierung, zum Teil auch das Verbot des Libra-Projekts gefordert.6

Das Konzept von Libra

Libra soll „die Eigenschaften der besten Währungen der Welt vereinen: Stabilität, geringe Inflationsrate, starke weltweite Akzeptanz und Fungibilität.“7 Als vollwertiges Geld soll sie nicht nur als Zahlungs-, sondern auch als Wertaufbewahrungsmittel und Recheneinheit dienen.8 Dazu könnten Finanzdienstleister im Umfeld der neuen Währung neue Produkte, wie z. B. auf der Libra-Blockchain basierende Smart Contracts, entwickeln, um die Abwicklung von Zahlungen und Krediten zu vereinfachen und zu automatisieren. Auch Anwendungen für die Bereiche „Internet der Dinge“ und „Industrie 4.0“ sind naheliegend. So ließen sich z. B. Warenströme an Maschine-zu-Maschine-Zahlungen in Libra koppeln.9 Damit könnte ein eigenständiger, supranationaler, auf Libra basierender Finanzsektor entstehen. Wie bei anderen – bisher in der Regel staatlichen – Währungsregimen auch, wird die Qualität von Libra, und damit ihre Akzeptanz, wesentlich von einer Reihe institutioneller Grundsatzentscheidungen bestimmt, den „Rules of the Game“10. Dazu gehören etwa die Wahl der Ankerwährung, der angestrebte Zielwechselkurs, der Grad der Wechselkursstabilität und die Regeln für die Anpassung der Spielregeln.

Damit Libra als wertstabiles Geld wahrgenommen und akzeptiert wird, ist sie als sogenannter Stable Coin konzipiert, d. h. die ausgegebenen Libra werden durch Staatspapiere und Bankeinlagen in Fiat-Währungen gedeckt und erhalten dadurch einen intrinsischen Wert.11 Der Wert der Libra soll dabei nicht, wie sonst in Fixkurssystemen üblich, gegenüber einer einzelnen Ankerwährung stabilisiert werden. Stattdessen soll ein Korb aus verschiedenen Fiat-Währungen gewählt werden, der ähnlich den Sonderziehungsrechten (SZR) des Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgestaltet ist. Institutionell soll dieses Konzept in einer Art Currency Board umgesetzt werden. Danach erhöht sich die Libra-Geldmenge nur dann, wenn Investoren und Privatkunden Libra gegen Fiat-Währungen kaufen. Mit diesen Einnahmen wird wiederum der Aufbau der Währungsreserven finanziert. Technisch soll die Schnittstelle zwischen Fiat-Währung und Libra durch „autorisierte Wiederverkäufer“ bedient werden.

Abbildung 1
Das Libra-Ökosystem
Das Libra-Ökosystem

Quelle: eigene Darstellung.

Wie in Abbildung 1 dargestellt, kommen diese ins Spiel, wenn Kunden Libra gegen Fiat-Währung an Börsen oder mittels eines digitalen Geldbeutels (Wallet) erwerben möchten, um sie anschließend untereinander über die Blockchain zu transferieren. Die Wiederverkäufer tauschen bei der Libra Association Libra gegen kurzfristige Staatsanleihen und Bankeinlagen (Libra-Reserve), die sie mit den zuvor erhaltenen Fiat-Währungen erworben haben.12 Da der Wert der Libra gegenüber einem Währungskorb aus US-Dollar, Euro, Yen und Britischem Pfund stabilisiert werden soll, liegt es nahe, für die bei der Libra Association hinterlegten Währungsreserven eine entsprechende Währungsstruktur zu wählen.13 Da die ausgegebenen Libra vollständig mit wertstabilen Finanzassets hinterlegt sind, ist die Libra-Reserve faktisch ein großer international anlegender Geldmarktfonds mit dem Anlageschwerpunkt internationale Bankeinlagen und kurzfristige Staatspapiere. Eine Libra ist damit (auch) ein Anteilsschein an diesem Investmentfonds. Dieses Zertifikat hat den besonderen Vorteil, dass es als internationales Zahlungsmittel eingesetzt werden kann, indem Fondsanteile auf Basis der Libra-Blockchain direkt zwischen Kunde A und Kunde B transferiert werden.14

Der Wert des in der Libra-Reserve hinterlegten Portfolios wird aus Sicht der Libra-Halter vor allem durch zwei Faktoren bestimmt: der Entwicklung der Kurse der hinterlegten Assets und der Wechselkurse, in denen diese Assets denominiert sind. Das Wechselkursrisiko besteht darin, dass die Wertentwicklung der Libra von dem der Libra-Reserve zugrundeliegenden Währungskorb abhängt und die darin enthaltenen Währungen zueinander schwanken. Somit wird der Libra-Wechselkurs und damit die Kaufkraft der Libra gegenüber jeder Fiat-Währung, insbesondere auch den Korbwährungen, schwanken. Abbildung 2 zeigt, wie sich der Euro- bzw. US-Dollar-Wechselkurs eines exemplarischen Währungskorbs, bestehend aus den vier oben genannten BIP-gewichteten Währungen, in den letzten beiden Dekaden entwickelt hätte.15 Langfristig wäre der Wert dieses Währungskorbs und damit der Libra sowohl gemessen in US-Dollar als auch in Euro recht stabil gewesen. Auf kurze Sicht hätte der US-Dollar- bzw. Euro-Wechselkurs der Libra aber in einem Band von rund +/-30 % um den Ausgangswert geschwankt. Entsprechend besteht auch bei Libra vor allem kurzfristig ein nicht unerhebliches Wechselkursrisiko, das aus Sicht einer Fiat-Währung umso größer ist, je kleiner deren Anteil am Währungskorb und damit an der Libra-Reserve ausfällt. Neben diesem direkten Wechselkursrisiko unterliegen die Banken- und Staatstitel in der Libra-Reserve offensichtlich auch noch Kursänderungs- bzw. Ausfallrisiken. So können sich Rückgänge von Anleihepreisen oder im Extremfall staatliche Insolvenz oder Bankenpleiten negativ auf den Wert der Libra-Reserve und damit auch auf die Libra auswirken.

Während sich diese Risiken besonders in Krisenzeiten manifestieren, dürften in „normalen Zeiten“ aufgrund der Anlage in vergleichsweise wertstabile Anleihen und harte Währungen nur geringe Wertschwankungen auftreten. Die Libra Association selbst macht deutlich, dass sie zwar jederzeit Libra gegen Fiat-Währung tauscht, dass aber der Preis der Libra in Fiat-Währung, wie der Preis anderer Investmentzertifikate, mit dem Wert der zugrundeliegenden Assets schwanken kann.16 Der Wert der Libra ist damit auch gegenüber dem Referenzwährungskorb nicht fixiert, sondern verändert sich entsprechend der Kursentwicklung der Reserve-Assets.

Insgesamt hat Libra durchaus das Potenzial, sich zu einer relativ wertstabilen, international fungiblen Währung zu entwickeln. Zu beachten gilt allerdings, dass zum einen viele wichtige organisatorische und institutionelle Elemente derzeit noch nicht abschließend geregelt bzw. bekannt sind. Zum anderen gilt für Libra wie für andere Währungen auch, dass die Spielregeln des Währungsregimes geändert werden können. Libra könnte z. B. gegenüber dem Währungskorb aktiv ab- bzw. aufgewertet, der Tausch in Fiat-Währungen durch Kapitalverkehrsrestriktionen eingeschränkt oder das Management der Reserven verändert werden.

Die Technologie hinter Libra

Libra basiert auf einer Distributed-Ledger-Technologie (DLT), der sogenannten Libra-Blockchain, die als dezentrales, verteiltes Datenbanksystem ohne eine zentrale Instanz auskommt.17 Eine Blockchain ist generell durch die Nutzung von Kryptografie relativ gut gegen Datenmanipulation geschützt und birgt durch die Integration von Smart Contracts ein hohes Automatisierungspotenzial. Externen Entwicklern soll in Zukunft freier Zugang zur Libra-Blockchain ermöglicht werden, sodass sie selbst Smart Contracts erstellen und die Weiterentwicklung von Move, der eigens für Libra konzipierten Programmiersprache, vorantreiben können.

Anstelle von Intermediären, die im klassischen Finanzsystem festlegen, welche Transaktionen wann ausgeführt werden, übernehmen im Blockchain-Netzwerk mehrere Parteien dezentral diese Funktion, sogenannte Validator Nodes. Die Libra-Blockchain soll anfangs zugangsbeschränkt sein, sodass die Blockchain nur den Mitgliedern der Libra Association offensteht und nur diese als Validator Nodes fungieren. Spätestens fünf Jahre nach der Einführung von Libra soll das System geöffnet werden, sodass die Blockchain für jedermann zugänglich ist und somit die Validierung der Transaktionen nicht mehr ausschließlich durch die Mitglieder der Libra Association erfolgt.18

Auf welche Art und Weise sich die Teilnehmer des Netzwerks auf die Durchführung von Transaktionen einigen, hängt generell vom zugrunde liegenden Blockchain-Protokoll ab. Während die meisten Kryptowährungen, wie etwa Bitcoin, einen energieintensiven Proof-of-Work-Konsensus19 verwenden, wird bei Libra ein Byzantine-Fault-Tolerant-Konsensus20 (BTF-Konsensus) genutzt. Dieser Ansatz soll „einen hohen Transaktionsdurchsatz, geringe Latenz“21 bei hoher Energieeffizienz ermöglichen. Basierend auf dem BFT-Konsensus sollen nach heutigem Stand bis zu 1000 Transaktionen pro Sekunde abgewickelt werden können. Dies stellt zwar einerseits einen erheblichen Fortschritt zu Bitcoin mit sieben bzw. Ethereum mit 15 Transaktionen pro Sekunde dar, bleibt aber immer noch deutlich hinter klassischen Zahlungsdienstleistern wie Mastercard mit bis zu 56 000 Transaktionen pro Sekunde zurück.22 Sollte Libra tatsächlich ein populäres Zahlungsmittel werden, könnte sich dieses Maximum als nicht ausreichend herausstellen, sodass sich Transaktionen verzögern würden.

Das Marktpotenzial von Libra

Im internationalen Vergleich unterscheiden sich sowohl der Entwicklungsstand der nationalen Finanzsysteme als auch der Zugang zu Finanzdienstleistungen ganz erheblich. Entsprechend ist bei der Analyse des Marktpotenzials von Libra zwischen Schwellen- und Entwicklungsländern und Industrieländern zu unterscheiden. Die Libra Association selbst nennt als wesentliches Ziel die finanzielle Inklusion von weltweit 1,7 Mrd. Menschen primär in Schwellen- und Entwicklungsländern – rund einem Drittel der Weltbevölkerung.23 Zwei Drittel davon besitzen aktuell bereits Mobiltelefone mit Internetzugang, die als Schnittstelle zum Libra-Netzwerk und zur Durchführung von Transaktionen genutzt werden können.24

Interessant scheint Libra besonders im Bereich der Heimatüberweisungen zu sein. Momentan betragen die Gebühren für solche grenzüberschreitenden Zahlungen sowohl via Bargeld als auch via Banküberweisung durchschnittlich 7 % des Überweisungsbetrags.25 Banken und alternative Finanzdienstleister wie Western Union und MoneyGram stehen wegen hoher Gebühren, ungünstiger Wechselkurse und hoher Transaktionsdauer seit langem in der Kritik.26 Selbst für digitale grenzüberschreitende Überweisungen, die über mobile Endgeräte abgewickelt werden, fallen aktuell hohe Gebühren von durchschnittlich 4,9 % an.27 Sollten Libra-Überweisungen deutlich günstiger angeboten werden, hätte Libra gute Chancen, in großem Maße für den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr in Schwellen- und Entwicklungsländern genutzt zu werden. Derzeit macht die Libra Association allerdings keine Angaben zur Struktur der Gebühren.

Die Libra Association kann auf zwei Einnahmequellen zurückgreifen: Zinseinnahmen aus den Währungsreserven und Transaktionsgebühren. Für den Bereich der Zinseinnahmen ist damit zu rechnen, dass die primär aus risikoarmen und kurzfristigen Staatsanleihen und Bankeinlagen solider Volkswirtschaften bestehende Libra-Reserve eine durchschnittliche Verzinsung von ungefähr 0,9 % aufweist.28 Je 100 Mrd. US-$ Anlagevolumen kämen der Libra Association entsprechend rund 900 Mio. US-$ pro Jahr an Zinserträgen zugute, die primär zur Deckung der Betriebskosten der Libra Association genutzt werden sollen. Deutlich wichtiger für das Geschäftsmodell von Libra könnten die Transaktionsgebühren werden. Angenommen es werden tatsächlich die für die Libra-Blockchain maximal mögliche Zahl von 1000 Transaktionen pro Sekunde bei einem durchschnittlichen Transaktionsvolumen von 100 Euro erreicht, würden der Libra Association bei einer 1 %-igen Transaktionsgebühr pro Jahr ca. 31,5 Mrd. US-$ zufließen. Aufgrund von Kostenvorteilen, z. B. durch geringere Personal- und Infrastrukturkosten durch die Libra-Blockchain, sollten die Gebühren im Vergleich zu Konkurrenzprodukten bei grenzüberschreitenden Zahlungen moderat ausfallen. Allerdings sind zusätzlich zu den Gebühren, die direkt im Zahlungsverkehr anfallen, auch noch weitere Kosten zu berücksichtigen, die bei der Ausgabe von Libra anfallen, etwa Bid-Ask-Spreads beim Tausch zwischen Libra und Fiat-Währungen.

Für Anwender in Ländern mit schwankungsanfälligen (Weich-)Währungen hätte Libra nicht nur den Vorteil eines attraktiven Zahlungsmittels, sondern wäre auch noch ein vergleichsweise stabiles Wertaufbewahrungsmittel, das kostengünstig Schutz gegen Inflations- und Abwertungsrisiken bieten würde. Die breite Verwendung von US-Dollar und Euro als Parallelwährungen in vielen Ländern gibt einen Hinweis für das Marktpotenzial der Libra in solchen Ländern.

Für Industrieländer scheint das Potenzial von Libra dagegen (zunächst) begrenzt. Hier sind die Transaktionskosten für grenzüberschreitende Zahlungen bereits moderat, die Transaktionszeiten häufig gering. Als Reaktion auf Libra und andere Finanzinnovationen sind sowohl nationale als auch internationale Bestrebungen zu beobachten, künftig grenzüberschreitende Überweisungen in Echtzeit anzubieten.29 Sollte es gelingen, wettbewerbsfähige Lösungen zu etablieren, könnte dies aufgrund von Netzwerkeffekten die Verbreitung von Libra in Industrieländern stark begrenzen. Im Gegensatz zu Banküberweisungen können Libra-Zahlungen dank der Blockchain-Technologie zwar auch außerhalb von klassischen Bank-Öffnungszeiten abgewickelt werden, allerdings sind Transaktionen rund um die Uhr bereits bei Wettbewerbern wie PayPal möglich – und das aus Nutzersicht kostenlos.

Abbildung 2
Euro- und US-Dollar-Wechselkurs des BIP-gewichteten Libra-Währungskorbs
1999 bis 2019, 1999 = 100, BIP-Gewichtung von US-Dollar, Euro, Japanischem Yen und Britischem Pfund
Euro- und US-Dollar-Wechselkurs des BIP-gewichteten Libra-Währungskorbs

Quelle: eigene Darstellung auf Basis von Daten aus Datastream.

Zudem kann das mit Libra verbundene Währungsrisiko aus der Perspektive von Industrieländern mit harten Währungen erheblich sein (vgl. Abbildung 2). In Industrieländern kann Libra nur dann relevant werden, wenn sie sich kostenlos, einfach und benutzerfreundlich transferieren und erwerben lässt und allgemein als Zahlungsmittel akzeptiert wird – sehr anspruchsvolle Voraussetzungen.

Libra: systemische Risiken und Regulierung

Die Libra Association stuft Libra als krisenfest ein und sieht sie insbesondere vor einem Run, also einer massiven kurzfristigen Rückgabe von Libra gegen Fiat-Währungen, geschützt.30 Runs entstehen typischerweise dadurch, dass Geldeinlagen nur teilweise durch liquide Vermögensgegenstände gedeckt sind. Bei einem plötzlichen Vertrauensverlust kann daher auch nur ein Teil der Kunden erwarten, über ihre Einlagen verfügen und diese in Fiat-Währung umtauschen zu können. Je früher Kunden daher ihre Einlagen abheben, umso größer die Chance, dass das Finanzinstitut zu diesem Zeitpunkt noch liquide ist. Folglich kann es zum Run kommen, und das Institut geht dann tatsächlich in die Insolvenz. Um einen solchen Run zu verhindern, müssten die Halter von Libra darauf vertrauen können, jederzeit Libra ohne größere Wertverluste gegen Fiat-Währung umtauschen zu können. Diese Bedingung mag in wirtschaftlich stabilen Zeiten erfüllt sein. Bei Finanz-, Staatsschulden- oder Wirtschaftskrisen ist allerdings zu erwarten, dass über Bankeinlagen nicht immer sofort verfügt werden kann und Staatsanleihen vermeintlich sicherer Staaten aufgrund eines gewissen Ausfallrisikos und/oder eingeschränkter Liquidität unter pari notieren.31 Dies hätte einen Wertverlust der Libra zur Folge und könnte zu einem Run führen. Hierbei sei allerdings auch darauf verwiesen, dass gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten Staatsanleihen sicherer Länder, sogenannter „Safe Havens“, durch erhöhte Nachfrage Kursgewinne verzeichnen können. Dadurch könnten Wertverluste der Libra-Reserve abgeschwächt werden, im Extremfall wäre auch ein Wertzuwachs denkbar.

Das größere Risiko dürfte aber in einem kollektiven Vertrauensverlust in die Libra Association liegen. Sollten Anleger z. B. nach einem Datenskandal in großen Mengen Libra in Fiat-Währungen zurücktauschen, wäre die Libra Association gezwungen, in großem Umfang Staatsanleihen in Fire Sales zu verkaufen. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der Finanzkrise 2008 könnte dies mit Ansteckungseffekten und erheblichen systemischen Risiken verbunden sein. Damit bestünde auch die Gefahr, dass Steuerzahler für die Stabilisierung des (konventionellen) Finanzsystems herangezogen werden.

Derzeit ist allerdings noch völlig offen, welche Verbreitung Libra finden wird und wie groß die Libra-Einlagen und die damit verbundenen systemischen Risiken letztendlich sein werden. Grundsätzlich scheint eine große Verbreitung aufgrund der sehr hohen Nutzerbasis der Unternehmen der Libra Association, wie Facebook (2,1 Mrd.), Mastercard und Visa (1,6 Mrd.), möglich.32 Nach ersten Schätzungen könnte sich die Marktkapitalisierung von Libra im dreistelligen Milliarden-US-Dollar-Bereich bewegen.33 Angenommen diese beliefe sich auf 250 Mrd. US-$ und die Libra-Reserve bestünde zur Hälfte aus Staatsanleihen, dann würde die Libra Association Anleihen im Wert von 125 Mrd. US-$ kaufen, um Libra zu decken. Aktuell dürfte der Bestand an kurzfristigen Staatsanleihen, die die Kaufkriterien der Libra Association erfüllen, rund 8,5 Billionen US-$ betragen.34 Die Libra Association würde somit einen Anteil von rund 1,5 % an solchen kurzfristig ausstehenden Staatsanleihen halten.

Um zu verhindern, dass das Schattenbankensystem weiter wächst, ist sicherzustellen, dass Libra konsistent als „normales“ Finanzprodukt reguliert und damit Regulierungsarbitrage verhindert wird. Allerdings ist derzeit noch offen, ob Libra rechtlich als Währung oder als Investmentfonds zu betrachten ist und unter wessen regulatorische Zuständigkeit eine private Kryptowährung mit globaler Reichweite fällt. Die Libra Association mit Sitz in der Schweiz ist zwar zunächst der eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) unterstellt und bemüht sich auch insbesondere beim Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung um eine enge Zusammenarbeit.35 Allerdings ist sehr fraglich, ob nationale Regulierungen für eine global präsente Finanzinnovation ausreichend sind und ob diese einheitlich in allen Ländern akzeptiert werden. Auch der Aspekt des Datenschutzes darf in diesem Kontext nicht vernachlässigt werden. Die große Unsicherheit und Skepsis der Regulierungsbehörden weltweit zeigt sich nicht zuletzt in den immer wieder diskutierten und teilweise durchgesetzten Verboten von Kryptowährungen unter anderem in China und Indien.36

Libra: Implikationen für die Geldpolitik

Die Libra Association bestimmt die Regeln des Libra-Währungsregimes und hat damit de facto die Rolle einer „Libra-Notenbank“ inne. Dabei sieht sich die Libra Association allerdings in der Rolle, gerade „keine eigene Währungspolitik zu betreiben, sondern die Politik der Zentralbanken zu übernehmen, die in der Reserve repräsentiert werden.“37 Solange sich der Wert der Libra an dem Währungskorb orientiert und die Libra Association passiv z. B. bei einer höheren privaten Libra-Nachfrage durch Kauf liquider Finanz­assets die Libra-Geldmenge erhöht, betreibt sie faktisch eine expansive, zinssenkende Geldpolitik in Bezug auf die Renditen der Finanzassets. Entsprechend der Orientierung am Währungskorb entspricht diese Politik einem Mix der geldpolitischen Maßnahmen von Federal Reserve, Europäischer Zentralbank, Bank of Japan und Bank of England, gewichtet nach den Anteilen der nationalen Währungen in der Libra-Reserve. Entsprechend werden sich Zinsen und Inflationsraten im Libra-Raum den gewichteten Werten von US-Dollar, Euro, Yen und Britischem Pfund nähern.

Welche Folgen sind von einer solchen Politik zu erwarten? Kauft etwa ein Kunde bei der Libra Association Libra gegen Euro und erwirbt die Libra Association mit diesen Mitteln eine deutsche Staatsanleihe von einer Nichtbank, so ändert sich die umlaufende Euro-Geldmenge nicht, während sich die Libra-Geldmenge entsprechend erhöht. Der Bestand an liquiden Finanzassets nimmt insgesamt zu, der Leverage des Finanzsystems steigt. Ein solcher Kauf von Reserve-Assets erhöht auch den Druck auf die kurzfristigen Zinsen. Dieser expansive Effekt einer neuen Währung könnte noch verstärkt werden, wenn Finanzinstitutionen beginnen, Kredite und andere Assets in Libra anzubieten, und damit zusätzlich Libra „geschöpft“ würde. Die nationalen Notenbanken hätten diesen expansiven Effekt in ihren Politiken zu berücksichtigen.38

Für die Geldpolitik der nationalen Notenbanken dürfte auch relevant sein, wenn mit Libra tatsächlich ein weiteres relativ wertstabiles, sehr liquides Asset geschaffen würde. Abhängig von den Transaktionskosten könnte damit ein enges Substitut zu bestehenden nationalen Zahlungsmitteln entstehen und die Nachfrage nach diesen traditionellen Zahlungsmitteln entsprechend zurückgehen. Ein (relativer) Bedeutungsverlust der traditionellen nationalen Bankensysteme wäre die Folge. Geldpolitische Maßnahmen, etwa der konventionellen Geldpolitik, könnten an Effizienz verlieren. Die Notenbanken müssten ihre Maßnahmen stärker dosieren, um die gleichen Effekte auf die wirtschaftliche Entwicklung zu erreichen, was zu weiteren Ausweichreaktionen und einem Abwandern von Geschäften aus dem Bankensektor führen könnte, mit negativen Folgen für die Wirkungen der Geldpolitik.

Die nationalen Geldpolitiken könnten auch beeinträchtigt werden, wenn durch die Einführung von Libra und damit verbundener Umschichtungsprozesse die Aussagekraft monetärer Aggregate reduziert würde und die Bereitstellung von Zentralbankgeld anzupassen wäre. Besonders in Ländern mit instabilen Währungen könnten die Portfolios zu einem erheblichen Anteil in die relativ wertbeständige, hoch fungible Libra umgeschichtet werden, vor allem wenn Libra nicht nur als Zahlungsmittel, sondern auch in Form höher verzinslicher Produkte, wie z. B. Libra-Termineinlagen, angeboten würde.

Es ist ferner möglich, dass die Libra Association nicht bei ihrer bisher angekündigten passiven Geldpolitik bleibt, sondern eine eigenständige (Offenmarkt-)Politik verfolgt und aktiv Fremdwährungsassets gegen Libra kauft, etwa um Seignioragegewinne zu erzielen. Auch Änderungen der Zusammensetzung der Libra-Reserve können als geldpolitische Maßnahmen angesehen werden. Wenn die Libra Association ihre Anlagestrategie ändern würde, könnte dies Folgen für die Rendite von Staatsanleihen und anderen Assets mit kurzer Restlaufzeit haben. Im Whitepaper wird explizit darauf hingewiesen, dass die Libra Association die Zusammensetzung und Investitionsstrategie der Libra-Reserve ändern kann, um auf wesentliche Veränderungen der Marktbedingungen zu reagieren (wie z. B. bei einer Wirtschaftskrise). Hierfür ist eine Zweidrittelmehrheit im Rat der Libra Association notwendig.39

Libra – Fazit und Perspektive

Libra bietet durch die Nutzung der Blockchain-Technologie eine innovative Infrastruktur, um Zahlungen weltweit kostengünstig, sicher und schnell abzuwickeln und so einen wichtigen Beitrag zur finanziellen Inklusion zu leisten. Insbesondere die globale Reichweite könnte Libra auf dem Markt für grenzüberschreitende Zahlungen in Entwicklungs- und Schwellenländern interessant machen. Das Marktpotenzial in Industrieländern ist derzeit dagegen als eher begrenzt einzustufen. Zu groß ist hier die Konkurrenz durch etablierte Zahlungsdienstleister, die Unsicherheit in Bezug auf Wechselkursschwankungen relativ zu den nationalen Währungen und nicht zuletzt die Angst vor Datenmissbrauch durch die Mitglieder der Libra Association. Sollte allerdings ein geeigneter regulatorischer Rahmen geschaffen werden, um diese Risiken einzudämmen, Libra kostenlos umgetauscht, transferiert und von großen Händlern als Zahlungsmittel akzeptiert werden, so kann Libra auch dort zu einer ernstzunehmenden Alternative im Zahlungsverkehr werden.

Weitgehend unklar ist derzeit noch, wie mögliche systemische Risiken des Libra-Projekts vermieden werden könnten. Es ist nicht auszuschließen, dass es zu einem Run auf die Libra-Reserve kommt, mit der Gefahr von Ansteckungseffekten für das konventionelle Finanzsystem. Angesichts der vielfältigen Abstimmungsprobleme zwischen den nationalen Regulierungsbehörden besteht noch erheblicher Koordinierungsbedarf.

Die Auswirkungen von Libra auf andere nationale Währungen und damit deren Geldpolitik sind aktuell nur schwer abzuschätzen, nicht zuletzt, weil viele wichtige institutionelle und organisatorische Details des Libra-Projekts derzeit noch offen bzw. unbekannt sind. Hält sich die Libra Association aber an ihr Versprechen, keine eigene Geldpolitik zu betreiben und Libra nur im Rahmen eines Currency-Board-Arrangements nach Maßgabe des Zuflusses an Fiat-Währungen zu schaffen, sollten trotz möglicherweise weitreichender Veränderungen im Finanzsystem die makroökonomischen Folgen letztlich beherrschbar sein.

Interessant dürfte sein, inwieweit Zentralbanken auf einen möglichen Rückgang der Nachfrage nach Bargeld und Zentralbankreserven reagieren werden. So diskutiert eine Reihe von Zentralbanken derzeit, eigene digitale Währungen, sogenannte Central Bank Digital Currencies (CBDC), zu emittieren, um selbst Ineffizienzen im Zahlungsverkehr etwa in Bezug auf Sicherheit, Geschwindigkeit und Überweisungsgebühren zu adressieren und die Nachfrage nach Zentralbankgeld zu stärken.40 Der Wettbewerb zwischen privaten und öffentlichen digitalen Währungen scheint eröffnet.

* Die Verfasser danken Jessica Schmidt, Lena Kraus und Jochen Keller für sehr hilfreiche Anmerkungen.

Title:Libra – Concept and Policy Implications

Abstract:The Libra Association’s announcement about the issue of a private global currency has triggered a heated debate about the concomitant advantages and risks. Proponents expect Libra to detach money from its ‘governmental chains’ and liberalise and cheapen monetary transactions around the globe. Opponents argue that a private currency imposes unforeseeable risks for both individuals and the whole financial system. Furthermore, Libra could hamper monetary policies of national central banks. This paper contributes in two dimensions. First, it provides a comprehensive view of Libra’s concept and market potential, its benefits and possible downsides. Second, it examines potential implications that a private currency poses for monetary policy and banking regulation.

Beitrag als PDF


DOI: 10.1007/s10273-019-2503-z

Mehr zu diesem Thema bei EconBiz